Istanbul - Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wird am Mittwoch zu einem Kurztrip nach Brüssel aufbrechen, um zu versuchen, die Krise rund um die türkische Strafrechtsreform zu schlichten. Der Termin war seit längerem vorgesehen, ursprünglich ging es aber nur um einen Auftritt Erdogans vor dem Außenpolitischen Ausschuss des Europäischen Parlaments. Inzwischen ist der Besuch zum letzten Hoffnungsschimmer geworden, den Streit zwischen der türkischen Regierung und der EU-Kommission um die geplante Bestrafung von Ehebruch doch noch zu entschärfen.

Aus diesem Grund wird Erdogan außer seinem Auftritt im Parlament auch Erweiterungskommissar Günter Verheugen treffen. Zuvor will er noch mit dem belgischen Ministerpräsidenten Verhofstadt zusammenkommen. Offiziell heißt es in Ankara, Erdogan werde versuchen, seine Position zu erklären und gleichzeitig Einwände aus Brüssel berücksichtigen. Diese Formulierung lässt sowohl zu, dass Erdogan auf einer Kriminalisierung des Ehebruchs bestehen bleibt, als auch den geordneten Rückzug antritt.

Opposition fordert Sondersitzung des Parlaments

Oppositionsführer Deniz Baykal forderte indes, kommenden Dienstag in einer erneuten Sondersitzung des Parlaments das Strafgesetzbuch wie ursprünglich vorgesehen ohne Ehebruch als Straftatbestand zu verabschieden. "Die Stimmung gegen die Türkei droht zur Lawine zu werden", so seine Begründung.

Tatsächlich hat der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des EU-Parlaments, der CDU-Abgeordnete Elmar Brok, bereits gefordert, die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Ankara um ein bis zwei Jahre zu verschieben. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.9.2004)