Washington - Nach fünfjähriger Vorbereitung hat am Dienstag vor einem Bundesgericht in Washington ein beispielloser Prozess der US-Regierung gegen die Tabakindustrie begonnen. Das Justizministerium als Kläger will von acht Unternehmen und Einrichtungen - darunter der größte US-Zigarettenhersteller Philip Morris - die gigantische Summe von 280 Mrd. Dollar (rund 231 Mrd. Euro). Nach Auffassung vieler Experten könnte dies zum Bankrott der betroffenen Firmen führen könnte.

Die Regierung wirft den Konzernen vor, die Öffentlichkeit jahrelang über Gesundheitsrisiken und das Suchtpotenzial des Rauchens getäuscht sowie Kinder gezielt beworben zu haben. Zum Prozessauftakt sollten zunächst die Bundesanwälte ihre Position darlegen.

"Kein Betrug"

Die Anwälte der Industrie räumten bisher ein, dass die Unternehmen die Risiken des Rauchens in der Vergangenheit möglicherweise angezweifelt hätten. Nach ihrer Darstellung handelte es sich dabei allerdings nicht um Betrug. "Betrug heißt, man führt jemanden absichtlich in die Irre oder nimmt sein Geld, indem man ihn hintergeht", sagte William Ohlemeyer, der Philip Morris vertritt.

Die Regierung will dagegen beweisen, dass die Konzerne wissentlich die Unwahrheit verbreitet haben. Dies gehe aus internen Dokumenten der Industrie hervor, die in anderen Prozessen aufgetaucht seien, sagte William Schultz, der die Anklage während der Amtszeit von Expräsident Bill Clinton vorbereitete.

Zweifel an der Aufrichtigkeit der Konzerne

Um den Prozess zu gewinnen, muss die Regierung jedoch auch plausibel machen, dass die Tabakindustrie in Zukunft weiterhin lügen wird. Die Konzerne weisen darauf hin, dass sie die Vermarktung von Zigaretten verändert haben und es daher keinen Grund für die Annahme künftiger Täuschungen gebe. Demgegenüber sehen die Regierungsanwälte in vergangenen Täuschungen genug Anlass, auch in Zukunft an der Aufrichtigkeit der Industrie zu zweifeln.

Die Höhe der geforderten Summe macht die Regierung an rechtswidrig erzielten Gewinnen fest. Zudem fordern Anwälte des Justizministeriums Beschränkungen bei der Zigarettenvermarktung, etwa das Verbot von Hinweisen wie "wenig Teer" oder "light".

Milliardengeschäft mit der Sucht

Die Tabakindustrie ist eine der größten Branchen der USA. Sie machte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 85 Milliarden Dollar (70,1 Milliarden Euro). Dies waren neun Milliarden Dollar mehr als drei Jahre zuvor. Laut US-Landwirtschaftsministerium gab es in den USA im Jahr 2002 57.000 Tabakfarmen in 16 Bundesstaaten. Die größten Produzenten sind North Carolina und Kentucky. Direkt in der Tabakindustrie beschäftigt sind dem Branchenverband TMA zufolge 400.000 Menschen.

Der größte Anbieter ist Altria, die frühere Philip Morris. Das Unternehmen mit Marken wie "Marlboro", "Virginia Slims", "Benson and Hedges" und "Chesterfield" kontrolliert rund die Häfte des Marktes. Fast 40 Prozent aller in den USA verkauften Zigaretten entfallen dabei auf die Traditionsmarke "Marlboro".

Zahl der Raucher konstant bei 45 Millionen

Rund ein Viertel der Erwachsenen in den USA raucht regelmäßig, was 45 Millionen Menschen entspräche. Trotz Aufklärungskampagnen über Gesundheitsgefahren sowie zunehmenden Rauchverboten in Restaurants und öffentlichen Gebäuden blieb die Zahl der Raucher damit in den vergangenen Jahren konstant. (APA/AP)