Paris - Der Konflikt um den EU-Kurs schwelte seit langem in der Parti Socialiste (PS). Aufgebrochen ist er mit der Ankündigung des Parteivizepräsidenten Laurent Fabius, er werde bei der in Frankreich für 2005 geplanten Volksabstimmung über die neue EU-Verfassung mit "Nein" stimmen.

Die Ankündigung schlug in der Partei wie eine Bombe ein. Sozialisten wie Michel Rocard, Martine Aubry oder Bernard Kouchner werfen Fabius "Verrat" an der traditionell proeuropäischen Haltung ihrer Partei vor oder bezichtigen ihn des "Populismus".

Sozialpolitische Zielsetzung

Fabius legt aber den Finger auf einen wunden Punkt: Seit langem in einer ideellen Krise steckend, hinterfragen immer mehr französische Sozialisten den Kurs der EU, die in ihren Augen zum liberalen Markt ohne sozialpolitische Zielsetzung verkommt. Parteichef François Hollande, der für ein klares "Ja" eintritt, ist sich der Gefahr einer Parteispaltung bewusst. Er setzte für Dezember eine parteiinterne Abstimmung an, deren Resultat verbindlich sein soll. Nach internen Umfragen steht Fabius aber nicht allein da - im Gegenteil könnte eine Mehrheit für "Nein" stimmen.

Das wäre für die Partei insgesamt ein Desaster. Und es wäre ein schlechtes Omen für die nationale EU-Volksabstimmung in einem Jahr. Die Stimmung ist alles andere als proeuropäisch; sogar bürgerliche Regierungsminister wie Nicolas Sarkozy beschuldigen die Ostmitglieder der EU auf bisweilen demagogische Weise, sie betrieben "steuerliches Dumping" und brächten die französische Wirtschaft damit um viele Arbeitsplätze.

Graue Eminenz

Aus all diesen Gründen ist bei der PS derzeit "Feuer am Dach" (Le Parisien). Als Brandlöscher versucht sich nun Altpremier Lionel Jospin, der nach seinem verlorenen Präsidentschaftswahlkampf 2002 nur noch als graue Eminenz in Erscheinung tritt. Im linken Nouvel Observateur rief er die Sozialisten zur Vernunft auf und bezeichnete die EU-Verfassung als "akzeptablen Kompromiss".

Zur fundamentalen Frage, wie sich Frankreich zur EU stellt, kommen wie üblich zahlreiche taktische Hintergedanken. Und nicht nur bei Fabius. Auch Staatschef Chirac wird verdächtigt, er habe das Referendum in erster Linie angesetzt, um die Sozialisten in die Bredouille zu bringen.

Schadenfreude

Die bürgerlichen Parteien haben aber keinen Anlass zur Schadenfreude. UMP und UDF werden zwar über der EU-Verfassung in keine Konflikte geraten, da sie klar dafür sind. Trotzdem könnte ihr Fußvolk zu großen Teilen "Nein" stimmen - wegen der Türkeifrage. Viele bürgerliche Wähler bemängeln, dass sie nichts zum EU-Beitritt Ankaras zu sagen haben. Sie könnten den Stimmzettel benützen, um sich zu dem heißen Thema indirekt zu äußern. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.9.2004)