Princi avancierte nicht nur wegen seines vielseitigen Angebotes zum Brot-Eldorado. Hier versorgen sich die Untersuchungsrichter des nahe gelegenen Justizpalastes, jenes Gebäudes, wo die Aufdeckungsaktion "mani pulite" Anfang der Neunzigerjahre startete, mit Brot. Hier treffen sich nicht nur die Intellektuellen des benachbarten Verlags Feltrinelli zum Cappuccino. Auch die Modedesigner aus den zahlreichen Showrooms, die hier ihren Standort haben, treffen sich neuerdings bei Princi.
Denn der aus dem Mezzogiorno gebürtige Bäcker Rocco Princi hatte eine Vision. Ihm gefiel der Luxus. Diesen bewunderte er bei seinem "teuersten" Kunden, dem Luxusmodehersteller Giorgio Armani. Jahrelang lieferte Princi für Armanis Nobelrestaurants nämlich die Brötchen und Backwaren. Und fand Geschmack an der edlen Inneneinrichtung von Armanis Räumen.
Stararchitekt Claudio Silvestri nahm den Auftrag, die Princi-Backstube umzubauen, an. Auf gut Deutsch, ihr das richtige Styling zu verleihen. Silvestri veränderte aber nicht nur die Backstube, sondern damit auch den Mailänder Alltag. Denn seine Idee zur Transparenz entspricht dem Zeitgeist: Er gestaltete einen rundum einsehbaren Raum.
Passanten und Kunden sind nur mittels einer Glasvitrine von den Bäckern getrennt. Sie können zuschauen, wie in den Backöfen "brioche", die italienischen Frühstückskipferln, Semmeln, Baguettes und Kuchen entstehen. Kinder drücken sich hier die Nasen wund. Zweifellos ist die Zurschaustellung des Brotbackens nahe dem Justizpalast, nicht weit vom Finanzzentrum entfernt, ein ungewöhnliches Bild.
Die Sehnsucht des global vernetzten Stadtbewohners
Aber die gläserne Backstube wird dem hier immer stärker werdenden Wunsch nach traditionellem Handwerk gerecht: Die Sehnsucht des global vernetzten Stadtbewohners geht nach lokalen Werkstätten, heißt es in einer Mailänder Design-Zeitschrift. Diese Sehnsucht hat auch Nobelschneider Brioni erkannt. Er richtete in der Via Gesu, einer Nebenstraße der Luxuseinkaufsstraße Montenapoleone, eine Kultschneiderwerkstatt mit Traditionsmöbeln und Nähmaschinen aus den Zwanzigerjahren ein. Im Gegensatz zur Bäckerei fehlt hier allerdings die Transparenz.
Einfache Dinge schließen die Möglichkeit nicht aus, vom Luxus umgeben zu sein. Dies ist die Philosophie von Architekt Silvestri. Die verwöhnten Mailänder geben ihm Recht. Der Umsatz hat sich nahezu verdoppelt, seitdem der Visions-Bäcker sein Innenleben zur Schau stellt. Er wird mit seiner neuen Elitebackstube noch einem anderen Wunsch gerecht: jenem der langen Öffnungszeiten. Die Bäckerei arbeitet im 24-Stunden-Betrieb. Dadurch können sich auch Schichtarbeiter, ermüdete Richter, passionierte Discotänzer und Gewohnheitsclochards hier nächtlich beim Espresso stärken und frühmorgens bereits ihr frisches Croissant mitnehmen. (DERSTANDARD/rondo/Thesy Kness-Bastaroli/24/09/04)