Die Konservativen formieren sich: EVP-Fraktionschef Pöttering ist gegen Verhandlungen mit der Türkei. Er will die konservativen Staatschefs zumindest so weit bringen, die Verhandlungen offen zu führen – mit der Option auf ein Nein.

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Menschenrechtsorganisationen, Theologen und Ökonomen: Zwei Tage lang hat die Europäische Volkspartei (EVP) Experten zur Türkei gehört. Hans-Gert Pöttering, Fraktionschef der Konservativen, zieht aus den Erkenntnissen den Schluss: "Es ist verfrüht, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beginnen."

Der Deutsche Pöttering begründet die ablehnende Haltung der EVP, der größten Fraktion im Europaparlament, so: "Die Menschenrechtslage in der Türkei ist nicht befriedigend. Es gibt Folter. Erweiterungskommissar Günter Verheugen soll auf ein Ende der Folter drängen." Verheugen hatte nach einem Treffen mit dem türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan erklärt, alle Probleme seien ausgeräumt – und es gebe "keine systematische Folter" in der Türkei.

Das Europaparlament hat in der Frage, ob Beitrittsverhandlungen mit der Türkei begonnen werden, nicht mitzureden. Die EU-Kommission gibt am 6. Oktober eine Empfehlung ab, Ende Dezember entscheiden die Staats- und Regierungschefs.

Pöttering will versuchen, die konservativen Regierungschefs auf einem EVP-Treffen hinter seine Meinung zu bringen. Die Chancen dafür sieht er: "Die EVP hat auch bei der Bestellung des EU-Kommissionspräsidenten eine große Rolle gespielt."

Nein als Möglichkeit

Pöttering will zumindest erreichen, dass die Staats- und Regierungschefs am Gipfel eine Formulierung finden, die das Ergebnis der Beitrittsverhandlungen ausdrücklich offen lässt. CDU-Chefin Angela Merkel ist seiner Ansicht – die deutsche rot-grüne Regierung hingegen befürwortet die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

Die österreichische VP-Abgeordnete Ursula Stenzel will Kanzler Wolfgang Schüssel kein Ja oder Nein empfehlen. Auch in der EVP gebe es Befürworter eines Beitritts, Stenzel gehört nicht dazu.

"Zug ist abgefahren"

Stenzel macht sich aber keine Illusionen, dass das Europaparlament die Aufnahme von Verhandlungen stoppen könnte: "Die EU hat sich zu weit vorgewagt. Der Zug ist abgefahren." Allerdings gesteht sie ein, dass im Zuge der Expertenhearings "alle Menschenrechtsgruppen für Verhandlungen plädiert haben, weil sie sich den Fortgang der Reformen erhoffen". Elisabeth Dörler vom christlich-muslimischen Forum etwa sieht in der EU die Chance, dass Kirchen zu Rechten kommen.

Dennoch sind auch andere gegen Verhandlungen. Johannes Voggenhuber sagt: "Die Türkei ist nicht in Europa." Mit der Position ist er bei den Grünen in der Minderheit. Die Sozialdemokraten sind mehrheitlich für den Beitritt.

Als Türöffner in die EU hat Erdogan versprochen, Ehebruch nicht unter Strafe zu stellen. Türkische Lobbyisten verweisen aber darauf, dass auch in Österreich beim EU- Beitritt Ehebruch nicht strafbar war. Sie nennen auch andere Beispiele: Malta hat sich bei seinem Beitritt eine Klausel zum Beibehalten seines Abtreibungsverbots ausverhandelt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25./26.9.2004)