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Foto: Archiv

Sissi Jarz ist eine zierliche junge Frau. Sie wirkt zurückhaltend, manchmal vielleicht sogar ein bisschen scheu. Doch im Gespräch mit Michael Robausch sagt sie auch Dinge wie: "Ich glaube, ich will das jetzt durchziehen." Nicht laut, aber bestimmt. Entschlossenheit kann die 23-jährige Grazerin auch gut brauchen, denn sie hat Ziele. Sie will gut werden, sehr gut sogar. Im Voltigieren, dem Kunstturnen auf galoppierendem Pferd. (Hier das Reglement und alle Fakten rund ums Voltigieren.)

Zuletzt gab es Rückschläge. Ihr Pferd, mit dem sie nach einer zweijährigen Pause und harter Vorbereitung wieder ins Wettkampfgeschehen zurückgekehrt war, musste nach einer im Frühjahr erlittenen Blessur eingeschläfert werden. "Es war eigentlich keine schwere Verletzung", sagt Sissi, doch bei der Behandlung sei etwas schief gelaufen. Nun war Improvisation gefragt. Training und Turniere mussten fast die gesamte laufende Saison auf fremden Pferden absolviert werden. Das bedeutet Abhängigkeit vom Entgegenkommen anderer Sportler und Vereine, die ihre Tiere zur Verfügung stellen. Was sie natürlich nicht müssten, denn immerhin sei sie ja eine Konkurrentin, erzählt Sissi. Doch bei den Voltigierern geht es kollegial zu: "Die Leute helfen sich öfter gegenseitig."

Es lief trotz des Handicaps gar nicht so schlecht. Bei allen großen Konkurrenzen erwies sich Sissi als stärkste Österreicherin, auch bei den Weltmeisterschaften im oberösterreichischen Stadl Paura, die sie als Zehnte beendete. Es wäre aber viel mehr möglich gewesen, doch plötzlich ging in der Kür das Pferd nicht mehr, und dann kann auch der beste Voltigierer nichts mehr ausrichten. Will man an die Spitze, und zwar die internationale, dann braucht es ein eigenes Pferd, besser noch zwei. Um intensiver trainieren zu können, und auch um mehr Sicherheit zu haben, sollte einmal ein Tier ausfallen.

Neuer Anlauf

"Schon ziemlich alt", hat sie mit 13 angefangen, mitgenommen in den Verein von der Freundin. Es war eine natürliche Entwicklung, denn schon vorher ist Sissi geritten, hat geturnt und Ballett betrieben. Voltigieren verband all diese Elemente. Sie startet für den RC Gleisdorf, derzeit stehen wöchentlich drei Einheiten am Pferd auf dem Programm. Kraft-, Ausdauer- und Akrobatiktraining kommen noch dazu. Diese Umfang soll aber unter sportwissenschaftlicher Anleitung deutlich steigen: 2005 will Sissi durchstarten. Der wichtigste Schritt ist getan – ein neues Pferd steht im Stall. Ein Turnier wurde schon gemeinsam absolviert, es scheint zu passen: "Er hat so schnell gelernt, ich hoffe, dass es ihm weiter Spass macht", wird der offenbar sehr talentierte Kollege gelobt. Auch die Zusammenarbeit mit Georg Rosenberger, der 1993 als erster und bisher einziger Österreicher bei einer EM unter die ersten drei kam, sollte sich positiv auswirken.

Stärke Kür

Gute Voltigierpferde zeichnen sich neben einer soliden Dressurausbildung durch Ruhe, Gelassenheit und Nervenstärke beim Turnier aus. Sie müssen ja immerhin bis zu drei Reitern gleichzeitig (beim Teambewerb) ohne Mucks erlauben, auf ihrem Rücken akrobatische Einlagen zu vollführen. Um Überforderung zu vermeiden, sollte ein Pferd nicht mehr als dreimal die Woche voltigiert werden, Dressur mäßiges reiten und Springgymnastik als Ausgleich wären sinnvoll.

Ab kommendem Jahr, wird sich im aus Pflicht- und Kürprogramm zusammengesetzten Wettkampf durch eine Reglementänderung das Gewicht etwas zu Gunsten des artistischen Moments verschieben. Die Neuerung sollte nicht zu ihrem Nachteil sein, glaubt Sissi. Denn die selbstständige Erarbeitung eines Programms, in dem die Demonstration der turnerischen Fähigkeiten in eine Choreografie mit Musik eingebettet ist, sei ihre Stärke. "Obwohl ich auch die die Pflicht gerne absolviere", wie sich Sissi zu versichern beeilt. Ihre Methode dabei: "Ich turne einfach so auf meinem Trainingspferd herum und dann fallen mir Übungen ein." Einen Plan habe sie dabei nicht. Eins komme zum anderen, oft wird verändert und umgebaut. Aber rechtzeitig vor einem Turnier sollte das Feilen dann schon beendet sein. Der Trainer wird zwar konsultiert, bessert vor allem bei Technikfehlern aus, die Federführung liege aber eindeutig bei ihr, sagt Sissi. Schließlich kenne sie sich selbst am besten und wisse, was zu ihr passt.

Unwägbarkeiten und wenig Zeit

Bloß eine Minute bleiben den Athleten, die Kampfrichter mit dem Kürprogramm zu beeindrucken. Und obwohl diese sechzig Sekunden höchster Konzentration dem Sportler oft viel länger erscheinen, bleibt die Tatsache, dass in solch knapp bemessener Zeitspanne eventuelle Fehler nicht wieder gut zu machen sind. Dem daraus resultierenden Druck versucht Sissi mit Mentaltraining zu begegnen. Dabei spiele man schon im voraus alle möglichen Szenarien durch und versucht sich darauf einzustellen. Man müsse vor allem ruhig bleiben und nach einem Fehler so gut wie möglich weitermachen. Ganz wichtig sei auch die Turniererfahrung selbst.

Voltigierer haben es schwer. Neben einem manchmal unverlässlichen Ross müssen sie auch die Abhängigkeit von unberechenbaren Zweibeinern verkraften: den Kampfrichtern. Ein heikles Thema, die Athletin seufzt. Über ungerechte Benotung ärgere sie sich "jetzt sicher nicht", das habe sie schon oft genug tun müssen. Sie versuche einfach, so gut wie möglich zu turnen, damit die Referees gar nicht anders könnten als gute Noten zu geben, sagt Sissi und fügt versöhnlich an: "Sie sind ja auch nur Menschen, die Fehler machen". Natürlich gebe es Gerede in der Szene. Etwa darüber, dass bestimmte Nationen einen gewissen Bonus hätten. Dass es sich hierbei um die Deutschen handeln könnte, die die internationale Szene weitgehend beherrschen, will Sissi aber erst auf Beharren des Fragers offenbaren.

Großes Ziel Aachen

Zwar steht in der kommenden Saison eine Europameisterschaft an, doch der Blick richtet sich schon auf die Welt-Reiterspiele in Aachen 2006. Die österreichische Voltigier-Welt ist Sissi zu klein. Wie es ist, Landes- oder Staatsmeisterschaften zu gewinnen, weiß sie schon. Sie will sich mit den Kapazundern messen, neben den Deutschen mischen auch Franzosen, Skandinavier und US-Amerikaner mit. (Hier alle EM und WM-Resultate seit 1986.) Unter die ersten drei bei Welt- oder Europameisterschaften, das wär's. Und darum eben das mit dem Durchziehen, ganz oder gar nicht. Sissi würde zwar gerne Wirtschaftspädagogik studieren, aber sie ist bereit für ihre sportlichen Ziele alles andere zurück zu stellen. Das klingt schon fast nach Profitum.

"Je länger man voltigiert, desto öfter fällt man vom Pferd, weil die Figuren immer schwieriger werden, die man turnt."
Foto: Robausch

Selbst ist die Frau

Neben der Liebe zum Sport braucht es dafür einen festen Willen und ein gerüttelt Maß Eigeninitiative. Um ihre Karriere über ein bestimmtes Niveau hinaus zu heben, muss Sissi die Sache selbst in die Hand nehmen. Ein Umfeld, das die Sportler schrittweise an die Weltspitze heranführen und ihnen außer Essen, Schlafen und Trainieren alles vom Hals halten würde, gibt es im Voltigieren nicht. Der österreichische Verband nimmt zwar gewisse organisatorische Aufgaben wahr, kann aber sonst kaum Unterstützung bieten. Der Nationalkader etwa kommt nur drei Mal im Jahr zu Lehrgängen zusammen. "Es gibt immer viel, was man verbessern könnte", umschifft Sissi elegant die Frage nach dem verbandlichen Status quo. Jene Anforderungen, die den Menschen in neoliberalen Ich-AG-Zeiten verstärkt zugemutet werden, sind ihr also alles andere als fremd. Irgendwie sieht sie sich auch als Botschafterin ihres Sports, der für Zuschauer durchaus attraktiv sei und daher mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.

Nicht ins Bild vom Voltigieren als Profession passen die finanziellen Rahmebedingungen. Sissis einzige Geldgeber sind die Eltern. Dabei ist der Aufwand enorm, allein der Ankauf von zwei Pferden schlägt mit rund 18.000 Euro zu Buche – Sponsoren sind also sehr willkommen. (Und Interessierte können hier auch gleich Kontakt aufnehmen.)

Wie dem auch sei, Sissi Jarz wird weiterkämpfen. Der Ehrgeiz lässt anderes derzeit nicht zu. Obwohl ihr Sport eine gute Schule in Sachen Risikoabschätzung sein dürfte: "Je länger man voltigiert, desto öfter fällt man vom Pferd."