Die quer durch Europa verbreiteten Halbwahrheiten und die gespielte Heuchelei rund um die Frage der Beziehungen EU-Türkei sind unerträglich und im Sinne einer ehrlichen Informationspolitik für die Bürger unverantwortlich. In der Türkeifrage liegen unwiderlegbare Fakten und eine bestehende Rechtslage auf dem Tisch. Die EU ist eine Rechts- und Wertegemeinschaft. Es ist damit die Aufgabe sowohl der Politik als auch der Medien, das gemeinsam beschlossene Recht zur Grundlage nicht nur des Handelns, sondern auch der Erklärungen zu machen, anstatt die Bürger Europas mit Halbwahrheiten und populistischen Äußerungen bewusst zu verwirren.

Was sind die Fakten: Die Türkei ist Mitglied der Zollunion mit der EU. Sie ist seit 1949 Mitglied der parlamentarischen Versammlung der Europarates, ist seit Dezember 1963 assoziiertes Mitglied der EU und nimmt bereits heute an vielen EU-Förderprogrammen teil. Die Türkei ist seit 1999, nach einem einstimmigen Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs, EU-Beitrittskandidat. Ob die Türkei grundsätzlich EU-Mitglied werden kann, ist damit seit fünf Jahren mit einem Ja entschieden. Die Türkei war als Beitrittskandidat auch im Verfassungskonvent über die Zukunft Europas vertreten und nahm bei den Erweiterungsfeiern der Staats- und Regierungschefs am 1. Mai 2004 in Dublin teil", unterstrich Karas.

"Die Union ruft die Türkei auf, ihren Reformprozess energisch voranzutreiben. Entscheidet der Europäische Rat im Dezember 2004 auf der Grundlage eines Berichts und einer Empfehlung der Kommission, dass die Türkei die politischen Kriterien von Kopenhagen erfüllt, so wird die Europäische Union die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ohne Verzug eröffnen."

Dieser Artikel 19 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Kopenhagen vom 22. Dezember 2002 in Kopenhagen wurde von allen EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen und ist zentraler Passus zum Verständnis der heutigen Situation. Über einen Beitritt der Türkei zur EU wird auf EU-Gipfel im Dezember aber nicht abgestimmt. Eine solche Abstimmung kann es erst nach einem erfolgreichen Abschluss von Beitrittsverhandlungen geben. Mit dem Beginn von Verhandlungen ist auch über den Beitritt eines Landes noch nicht entschieden. Diese Entscheidung treffen die EU-Staats- und Regierungschefs einstimmig und es ist in allen Mitgliedstaaten der EU, dem Europaparlament und im betreffenden Land eine verfassungsrechtliche Mehrheit notwendig.

Derzeit gibt es vier EU-Beitrittskandidaten, Bulgarien, Rumänien, Türkei und Kroatien. Weder die Türkei noch die EU erfüllen heute aber die notwendigen Beitrittskriterien. Auch gibt es keine ausreichende demokratische Mehrheit in den EU-Mitgliedstaaten für eine Aufnahme der Türkei. Nur seien wir doch ehrlich: Darum geht es weder am 6. Oktober noch am EU-Gipfel am 17. Dezember 2004. Es geht nur um einen Beschluss, ob Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden können. Und darüber entscheiden alleine und einstimmig die EU-Staats- und Regierungschefs, nicht die EU-Kommission und auch nicht das Europaparlament.

Die Debatte der letzten Wochen zeigt neuerlich deutlich, wie wichtig es ist, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten zu ihrer Mitverantwortung bei EU-Entscheidungen stehen, ihre Entscheidungen zum Zeitpunkt dieser kommunizieren und begründen, damit die Bürger Europas zu informierten Beteiligten werden können und sich nicht weiterhin vor vollendete Tatsachen gestellt fühlen.