Berkane ist wieder zu Hause. In seinem Haus am Meer versucht er, sich dem Land wieder zu nähern, das er vor zwanzig Jahren verlassen hat. Seine französische Freundin Marise hat sich von ihm getrennt, und Berkane hat das als Anstoß genommen, nach Algerien zurückzukehren. In sehnsuchtsvollen Briefen an die Freundin unternimmt er den schmerzhaften Versuch, seine Erinnerungen aus der Kindheit mit den Erfahrungen als Zurückgekehrter zur Deckung zu bringen. Berkane ist in der Kasba von Algier aufgewachsen. Aber das altvertraute Viertel findet er nicht wieder. Die Gebäude sind verfallen, die Kasba stirbt an kollektiver Vernachlässigung, genauso wie die politische Kultur erodiert. Berkane schreibt Briefe, die er nicht abschickt, er beginnt einen Roman, er fotografiert, spricht mit dem Fischer am Strand.

Assia Djebars Text ist voll Schmerz und Zorn. In der Biografie des einsiedlerischen Berkane rekapituliert sie in vielen Rückblenden die verworrene Geschichte ihres Heimatlandes Algerien, wie es sich dem einfachen Menschen aus dem Volke darstellt. Berkane, ein jugendlicher Radaubruder ohne politische Bildung, wurde von den französischen Besatzern beim Schwenken der verbotenen algerischen Flagge erwischt.

Sie folterten den Burschen und steckten ihn in ein Straflager. Berkane hat nie über diese Zeit gesprochen. Jetzt aber will er den Ort des Straflagers wieder aufsuchen. Er verschwindet spurlos. Es ist paradox. In Paris, der Stadt der einstigen Feinde, hätte er überlebt. In Algerien fällt Berkane den neuen radikalen Eiferern zum Opfer.

Die gebürtige Algerierin Djebar, die selbst im Ausland lebt, ist weit davon entfernt, die "gute alte Zeit" des Kolonialismus und der Befreiung zu verklären. In Wahrheit zeigt sie, dass es keinen sicheren Ort gibt. Egal, ob damals Nationalisten in der Kasba marodierten oder jetzt fundamentalistische Taxifahrer Frauen beschimpfen und Journalisten mit dem Tod bedrohen, es ist ein Albtraum ohne Ausweg.

Welche Sprache bleibt dem Schreibenden, dem Liebenden? Ist es Französisch oder Arabisch, die Sprache der Nähe, der Liebe, der Geschichten? Man macht Jagd auf Französisch sprechende Gebildete. 1993, schreibt Djebar, erreichten Wellen von Flüchtenden Frankreich. Berkane hat versucht, seine Sprache wiederzufinden. Sie wurde ihm genommen. Aber seine Schriften haben überlebt. Denn Marisa hat sie nach Paris mitgenommen. Und Assia Djebar erzählt. Das Wort ist nicht verloren. (Ingeborg Sperl/DER STANDARD, Album 09./10.10.2004)