Wien - In der lateinamerikanischen Presselandschaft hat die Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Elfriede Jelinek große Wellen geschlagen. Nicht zuletzt wurde auch Überraschung über die Entscheidung bekundet, hätte man wie etwa die argentinische Tageszeitung "La Nación" doch eher mit Joyce Carol Oates, Margaret Atwood, Assia Djebar oder Friederike Mayröcker gerechnet. Für das kubanische Blatt "La Ventana" hat Jelinek hingegen vornehmlich Männer wie Carlos Fuentes, Philip Roth oder Mario Vargas Llosa "bezwungen".

"La Nación" sieht im Werk der "unklassifizierbaren Autorin" Verbindungen zu Schriftstellern wie Franz Kafka, Samuel Beckett oder Harold Pinter in Bezug auf ihre "unruhige Weltanschauung", macht aber gleichzeitig die Ansiedlung der Handlungen im nicht-fiktiven Alltag als Unterschied zu eben diesen Autoren dingfest. Verwiesen wird weiters darauf, dass Jelinek "in ihrer Heimat ob ihres Feminismus, ihres Eintretens gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen und Extremismus in der europäischen Politik polemisch rezipiert wird".

Bei einer bibliothekarischen Bestandsaufnahme in Buenos Aires wurden lediglich zwei der ins Spanische übersetzten Werke der Autorin - "Die Klavierspielerin" (Michael Hanekes Filmversion war 2001 auch in den argentinischen Kinos zu sehen) und "Die Ausgesperrten" - ausgemacht. In den Buchhandlungen der Hauptstadt sah es noch trister aus, dort waren nämlich gar keine Jelinek-Titel verfügbar. Der Verlag Editorial Sudamericana hat dem Blatt zufolge aber zugesichert, im kommenden Monat die beiden Texte wieder aufzulegen. Im Juni des Vorjahrs wurde im Teatro San Martín Jelineks Theaterstück "Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaft" in der Inszenierung von Rubén Sczuchmacher aufgeführt.

Die politischen Dissonanzen zwischen der Autorin und der schwarz-blauen Regierung in Österreich werden von praktisch allen Medien Lateinamerikas (für "El Mercurio" aus Chile ist Jelinek die "Gegnerin Nummer eins der Rechtsregierung in Österreich") hervorgehoben, wobei freilich Missverständnisse nicht immer ausgeschlossen sind, wenn etwa im Blatt missverständlich davon die Rede ist, dass unter "der Regierung Jörg Haiders ihre Werke in den öffentlichen Theatern in Österreich verboten worden waren." (Jelinek selbst hat die Aufführung ihrer Stücke untersagt, das Verbot mittlerweile aber wieder zurückgezogen, Anm.)

Die chilenische Autorin Pia Barros begrüßte die Entscheidung des schwedischen Komitees gegenüber Radio Cooperativa Chile, da es sich bei Jelinek um eine "ausgewiesene Feministin und Kritikerin sozialer Vorurteile" handle die es dank ihrer "außergewöhnlichen stilistischen Verve" immer verstanden habe "Grenzen zu überschreiten und die Absurditäten in Bezug auf gesellschaftliche Klischees zu ergründen". Leise Kritik klang hingegen bei Barros' chilenischem Landsmann Fernando Emmerich, durch, der meinte, dass man die Verleihung des Preises an die Österreicherin schon "habe kommen sehen", da bei dem Komitee nationale Überlegungen oft genauso eine Rolle spielten wie das Geschlecht eines Autors. Dass es diesmal erstmals seit 1996 eine Frau werden würde, sei vorauszusehen gewesen. Von seinem Einwand seien "die eigenen Verdienste der Autorin" freilich unberührt.

In der Tageszeitung "La Jornada Mexico" würdigte José María Pérez Gay Jelineks Texte als Schlüsselwerke des Feminismus, die diesen zu seinen Wurzeln führten. "Elfriede Jelinek scheint sich stets zu fragen, ob das Schicksal der Frauen die Rebellion oder die Unterordnung ist. Ihre Literatur ist ein Kapitel in jenem großen österreichischen Roman, den W.B. Sebald die Beschreibung des Unsagbaren genannt hatte." Als bedeutende Folie für Jelineks Werk figuriert bei Gay freilich nicht zuletzt auch ein Mann: Thomas Bernhard - in Bezug auf die in beiden Werken inhärenten musikalischen Prinzipien wie in thematischer Hinsicht auch auf die immer wiederkehrende Frage nach der unbewältigten Nazi-Vergangenheit Österreichs.

Auch in brasilianischen Medien wurde der Auszeichnung für Jelinek breiter Raum gewidmet. Die Tageszeitung "Estadao" hob insbesondere Jelineks politisches Engagement hervor und sprach von einer zu erwartenden Renaissance der Autorin in Brasilien. Auch sollen nicht mehr erhältliche Werke der Autorin wieder aufgelegt werden. (APA)