Versicherungssysteme sind immer dem Verdacht ausgesetzt, nicht gerecht zu sein: Wer sich jahrzehntelang gegen ein Risiko versichert hat, das nie eingetreten ist, hat subjektiv eine zu hohe Prämie gezahlt. Und wenn der Versicherungsfall doch einmal eintritt, dann will der Versicherte so viel wie möglich herausbekommen - das ist bei Haushalts- und Kfz-Versicherungen nicht anders als in der Sozialversicherung. Schließlich hat man ja eingezahlt!

So gesehen gibt es bei Reformen im Sozialrecht politisch wenig zu holen: Jene, die dadurch begünstigt werden (etwa Mütter, deren Kindererziehungszeiten mit dem vom Ministerrat beschlossenen Pensionsgesetz massiv aufgewertet werden), brechen ja nicht in lauten Jubel aus - schon weil sie damit den Neid anderer schüren könnten und sich dem Verdacht aussetzen, "überfördert" zu werden. Im Zweifelsfall werden sie jammern, dass sie bisher (und auf Verdacht: möglicherweise auch künftig) benachteiligt wären.

Kernpunkt

Aber Dankbarkeit ist ohnehin keine politische Kategorie. Und von den meisten Versicherten ist sowieso kein Dank zu erwarten, da sie subjektiv schlechter gestellt werden: Der Kernpunkt des neuen Pensionsgesetzes ist ja, dass das Pensionsalter nach und nach für alle Österreicher/innen angehoben wird.

Gerade dieser Punkt ist noch am wenigsten ins allgemeine Bewusstsein gesickert. Wer heute Anfang vierzig ist und angesichts einer heraufdrohenden Midlifecrisis Trost im Gedanken an eine Frühpension sucht, wird nachhaltig enttäuscht. "Frühe" Pensionierungen gibt es künftig nur noch im Pensionskorridor zwischen 62 und 65 Jahren - und sie werden jedenfalls mit kräftigen Abschlägen versehen sein, weil eben das Regelalter für einen vollen Pensionsbezug mit 65 Jahren angesetzt ist.

Enttäuschung zu erwarten

Das Ringen um die Schwerarbeiter/innenregelung - und darum, welche Arbeit denn nun eigentlich Schwerarbeit ist - hat sich ja gerade deshalb als so schwierig erwiesen, weil beinahe jeder Beschäftigte subjektiv meint, selbst relativ schwer zu arbeiten. So wie beinahe jede/r Autofahrer/in glaubt, selbst relativ gut zu fahren.

Wie immer die Liste der Schwerarbeiter/innen aussehen wird, die Sozialminister Herbert Haupt bis Jahresende vorlegen will: Sie wird ebenso wie die ganze Pensionsreform die überwiegende Mehrheit der Versicherten enttäuschen, weil sie sich subjektiv ungerecht behandelt fühlen werden. Die Entrüstung darüber wird verdecken, dass die Schwerarbeiter/innenregelung an sich ungerecht sein muss, weil sie das Problem - manche Menschen arbeiten besonders lange und besonders schwer - der Versichertengemeinschaft überträgt anstatt den Kollektivvertragspartnern.

Logisch wäre ja, dass besonders schwer arbeitende Menschen so viel mehr bezahlt bekommen, dass sie sich genügend ersparen können, um aus ihren Ersparnissen einen verfrühten Pensionsantritt finanzieren zu können.

Aber Ehrlichkeit ist in einem sozialen Versicherungssystem (an dem die Sozialpartner fleißig mitarbeiten, auch wenn sie diesmal nicht mitentscheiden durften) ebenso wenig zu erwarten wie subjektive Gerechtigkeit.

Transparenz

Das heißt nicht, dass das System an sich schlecht wäre oder dass es in diesem System keine Gerechtigkeit gäbe. Insgesamt macht die nun in parlamentarischer Verhandlung stehende Pensionsreform das System gleich in mehrfacher Hinsicht richtiger: Es wird erstmals eine gewisse Transparenz geben, was man für seine Beiträge bekommt. Es werden Beiträge und Leistungen zumindest mittelfristig harmonisiert - und wer früher in Pension geht, wird dafür weniger als bisher der gesamten Versichertengemeinschaft auf der Tasche liegen.

Wer viel und lange arbeitet, wird eher belohnt - und wer nicht so lange gearbeitet hat oder nicht so viel eingezahlt hat, kann jetzt schon damit rechnen, dass sie/er im Alter aus anderen Quellen (etwa der "Abfertigung neu", aber auch persönlichen Ersparnissen) schöpfen wird müssen. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 13.10. 2004)