Ignaz Kirchner, ab Ende Oktober Cellospieler: "Man übt seinen Beruf aus und hofft, dass er nicht sinnlos ist."Foto: Werner

Foto: Reinhard Werner/Burgtheater
Foto: Reinhard Werner/Burgtheater

Premiere hat das Stück am 29. Oktober im Burgtheater. Im Gespräch mit Ronald Pohl erörtert Ignaz Kircher Sinn-und Komikfragen.

STANDARD: Der Zirkusmachthaber Caribaldi übt in Thomas Bernhards "Die Macht der Gewohnheit" im Wohnwagen mit seinen Gauklern Schuberts "Forellenquintett" ein. Das heißt: Er zwingt die von ihm abhängig Gemachten zu merkwürdigen Übungsséancen. Heute entdeckt man hinter der Bernhard-Suada über Kunst und Vergeblichkeit beim Wiederlesen plötzlich andere Töne: Es werden echte Figuren kenntlich, Menschen aus Fleisch und Blut, nicht wahr?

Ignaz Kirchner: Glaub' ich auch. Nehmen Sie Bernhards frühe Erzählungen: Sie finden darin ganze Stellen von einer menschlichen Tiefe . . . Das sind rührende, einfache Erzählungen. Dahinter stecken auch immer Biografien. Es wird immer behauptet, dass er ein Übertreibungsmeister gewesen sei. Find' ich ja gar nicht. Wenn man sich die Menschen ankuckt, muss man sagen: George Grosz und Otto Dix waren irgendwann vielleicht Übertreiber. Aber wenn man sich deren Bilder heute anschaut: Daran ist nichts übertrieben. Oder nehmen Sie den Deix her . . .

STANDARD: Der liebt doch eigentlich die Menschen, denen er geduldig die Beistriche in die Unterhosen hineinaquarelliert?

Kirchner: Nehmen wir doch einfach einen der Hauptsätze aus Die Macht der Gewohnheit her: "Wir wollen das Leben nicht – aber es muss gelebt werden." Das ist ein Satz von tiefer Erkenntnis.

STANDARD: Besteht die Komik dieses letzten, in Wien noch nicht aufgeführten Bernhard-Stückes nicht darin: Man kann von der Kunst nicht ablassen und strebt in ihr nach Perfektion. Aber diese ist uns Menschen auf Erden nicht bestimmt. Liegt der Witz nicht auch darin, dass sich heute keiner mehr um "Perfektion" schert? Louis-Ferdinand Céline hat einmal sinngemäß gesagt: Wenn ich einen Satz schreibe, muss ich wissen, dass der wie ein Ast ist, den ich ins Wasser hineinstrecke. Das Bild des Astes wird vom Wasser optisch gebrochen. Also muss ich die "Krümmung" sozusagen vorab in den Satz, das Stöckchen, mit hineinschreiben – ein Wort der Moderne gegen den Perfektionswahn. Voilà.

Kirchner: So ist das Stück ja auch: Der Zirkusdirektor gibt vor, seit 22 Jahren das Forellenquintett geübt – nicht gespielt – zu haben. Er ist noch nie damit zu einem Ende gelangt. Jetzt könnte man sagen: Der Mann ist noch nie über den ersten Bogenstrich hinausgekommen, über die Grundhaltung, wie man den Cellobogen hält. Im Grunde ein Wahnsinn also – aber eben nur bei oberflächlicher Betrachtung.

Wenn Sie jetzt mit einem japanischen Meister des Bogenschießens redeten, der würde Ihnen Folgendes sagen: Das ist überhaupt kein Wahnsinn! Bis ich ausreichend bedacht habe, wie ich den Bogen spannen muss, sind bereits fünf Jahre ins Land gezogen. Der Wahnsinn ist also bloß ein oberflächlicher. Das ist kein Wahnsinn. Wir aber lachen darüber.

STANDARD: Denken wir da nicht sofort an Kafka?

Kirchner: An Kafka, Beckett – da tut man Bernhard nur auch Unrecht, mit diesem Schlagwort vom "Alpen-Beckett".

STANDARD: Ein Wort wie "Existenzialismus" scheint ja mittlerweile auch zu Tode bemüht. Wie nennt man eine solche Disposition also? Handelt es sich bei Kafka, Bernhard et cetera nicht um Autoren, die buchstäblich alles aufs Spiel setzen?

Kirchner: Machen sie auch. Da kann man sich nur freuen, dass der Thomas Bernhard solch eine Verbreitung hat. Denken sie an Beckett: Dessen Romane liest ja kaum jemand. Aber die Stücke ... "Die Macht der Gewohnheit" ist bereits 30 Jahre alt und hält noch immer. Bernhard schreibt Wahrheiten. Wenn er sagt: Komik ist immer ernst, weil der Komiker sich umbringt, dann lachen wir. Wenn ich ankündigen würde: "Ignaz Kirchner kommt auf die Bühne mit einer Pistole und erschießt sich" – das wäre ein großer Lacher. Der größte in meiner gesamten Karriere.

Nein, wenn man den großen Cellisten Pablo Casals mit 80 gefragt hat, warum er acht Stunden am Tag übt, so antwortete er: Um besser zu werden! Und der jüdische Philosoph Theodor Lessing hat auf die Frage, was der Sinn des Lebens sei, geäußert: die Sinngebung des Sinnlosen. Mehr ist ja nicht! Wir beide haben noch Glück: Sie schreiben bei einer anständigen Zeitung, ich spiele an einem wunderbaren Theater – und wir beide verdienen noch Geld mit etwas, das uns Spaß macht.

Für einen Handwerker wird das schon schwieriger. Außer Sie sind ein Schuhmacher oder ein Schachtelmacher alten Schlags. Eine Frage des "Handwerkerethos".

STANDARD: Das Schwindel erregende Gefühl der Sinnlosigkeit ficht Sie also nicht zu Zeiten an?

Kirchner: Nee. Dafür hab' ich ja zu viel zu tun. Nun gut. Manchmal schon. Dann frage ich mich: "Könnte die Welt nicht anders sein?" Aber was über die Jugend in Athen gesagt wurde, in Platons Gastmahl etwa, das gilt im gleichen Maße ja auch für uns. Oder nehmen Sie Vergnügungen aus den 30er-Jahren her: Sie finden Körperkult, Sport. Irgendwann denkt man: Daran müsste sich doch etwas ändern. Aber schon Horváth wusste: Die Dummheit ist grenzenlos.

STANDARD: "Nichts vermittelt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit wie die Dummheit." – Hab' ich das jetzt richtig aus dem Gedächtnis zitiert?

Kirchner: Es gibt einen Satz von Alfred Polgar über die Österreicher, den Bernhard geschrieben haben könnte: "Die Österreicher sind ein Volk, dessen große Zukunftszuversicht in der Vergangenheit liegt." Man regt sich hier nur nicht so auf über die Zustände. Ist ja auch lässiger. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.10.2004)