Marc Hall

NNichts ist durch politische Polemik verletzbarer und für politisches Kleingeld ungeeigneter als die Industriestruktur und der Kapitalmarkt eines Landes. Bei der Suche nach zukunftsweisenden Lösungen für die Privatisierungen der ÖIAG sollte daher ein sachlicher und professioneller Eigentumsübergang den Parteien mehr bringen als die Hoffnung auf Zerschlagung/Rettung von Einflusssphären oder das Aufbrechen/Schützen von verkrusteten/bewährten Strukturen.

Bereits 1992 bezeichnete der damalige Vizekanzler Erhard Busek die Industriebetriebe der ÖIAG als Museen; was in der Folge nicht viel einbrachte. Der Konsens zwischen SPÖ und ÖVP über das erste Privatisierungsprogramm 1993 bescherte Österreich demgegenüber mit erfolgreichen Privatisierungen einen Aufschwung an der Wiener Börse mit nachhaltig gestärkten Industrietiteln. Soll dieser Weg fortgesetzt werden, muss mit der Veränderung der Eigentümerstrukturen auch Schluss sein mit der Abwälzung von Aufgaben und Kosten des Staates auf die Unternehmen.

Kurzsichtige Strategie

Keine Frage, die Betriebe wurden jahrzehntelang angehalten, ihren Beitrag zur Arbeitsmarkt- und Regionalpolitik, zur Förderung von Export, Infrastruktur und Mittelstand zu leisten, ohne damit Bundes- und Landesbudgets zu belasten. Dem Standort Österreich hat das geholfen. Im Zuge des internationalen Wettbewerbs führte dies aber zu einer zunehmenden Verschuldung der Unternehmen: bis 1986 zu einem Finanzierungsbedarf von 59 Milliarden Schilling. Eine stolze Summe, aber wenig im Vergleich zu den jährlich budgetierten Gaben an den volkswirtschaftlich kleineren, politisch gut gepflegten Sektor Landwirtschaft. Die kumulierte Erfüllung hoheitlicher Aufgaben durch die Post (und damit jahrelange Entlastung öffentlicher Budgets) dürfte die ausgewiesenen Schulden von 30 Milliarden Schilling ebenfalls beträchtlich übersteigen.

Natürlich gab es in der Ver-
staatlichten auch gewagte Exportgeschäfte und Fehlinvestitionen. Diese lagen aber im Rahmen des Investitionsrisikos der Industrie und wären für marktorientierte Unternehmen verkraftbar gewesen. Für die aushaftenden 59 Milliarden Schilling wurde 1986 mit den Banken ein Tilgungsplan bis 2017 ausgearbeitet, die Rückzahlung inklusive Zinsen jedoch nicht dauerhaft aus dem Budget garantiert, sondern der ÖIAG weiterhin als Schulden überlassen.

Die nunmehrige Begründung des Verkaufs von Unternehmen wie Telekom Austria, Austria Tabak, OMV und PSK mit den - nicht einmal indirekt von diesen verursachten - Altschulden der ÖIAG, kommt einer Perpetuierung der Übernahme (historischer) staatlicher Aufgaben gleich. Anstatt nachhaltig belastet zu werden, würden die Unternehmen dringend zusätzliches Kapital (zum Beispiel über junge Aktien) brauchen, um endlich ihren originären Aufgaben der Investition in Marktwachstum und technologischen Wandel nachkommen zu können.

Kein Wunder also, dass es zwar gelungen ist, mehrere gesunde Industriebetriebe zu erhalten; den echten Sprung zu einer - notwendigen - europäischen Größe hat noch keiner geschafft. Privatisierung sollte sich daher nicht auf den Verkauf von X Prozent Stammaktien des Staates an Private beschränken, sondern die Chancen für weitergehende Eigentümerstrukturen und Allianzen öffnen (man vergleiche die Entwicklungen von BP, Total und Deutsche Telekom, die erst nach ihrer Privatisierung stark expandieren konnten).

Falsche Ängste

Ein Eigentümer, der ein solcher nicht sein möchte, der nicht bereit ist, zusätzliche Mittel zu investieren und seinen Unternehmen historische Eigenschulden auflastet, dem nicht einmal der Werterhalt seines Besitzes ein besonderes Anliegen ist, sollte schnell und gut verkaufen. Soweit so einfach - für die Formulierung eines Regierungsprogramms.

Schwieriger ist die Aufgabe, die optimalen Eigentümerstrukturen für die Unternehmen selbst, für die Beschäftigten und den Wirtschaftsstandort Österreich zu finden. Ein beliebter Einwand: Ein starker Kapitalmarkt wie in Großbritannien oder institutionelle Investoren wie in Deutschland existieren in Österreich nicht. Das macht die Sache aber einfacher: Deren Interessen müssen in einem österreichischen Konsens nicht berücksichtigt werden, es kann mehr Aufmerksamkeit auf die Beschäftigung und die Stärkung des Wirtschaftsstandortes gelegt werden.

Ein paar Lieblings-Schreckgespenster wären dabei gleich mit einzumotten: Ausländische Kapitalgeber, die nachhaltig in Österreich investieren (SPÖ); die ein hohes industrielles Beschäftigungs-, Produktivitäts- und Lohnniveau einbringen und fordern (ÖVP); die Wachstum generieren und in Hochtechnologie forschen (Grüne), und vermehrt qualifizierte Arbeitskräfte nach Österreich schicken (FPÖ). Genau dies nämlich würde die größtmögliche Partizipation des Wirtschaftsstandortes garantieren. Und genau so sollten die Partner einer weiteren erfolgreichen österreichischen Privatisierungswelle beschaffen sein. Sie würden Österreich stärker und europäischer machen.

Golden shares, Sperrminoritäten und der viel gerühmte Erhalt der Headquarters in Österreich mag als defensive Maßnahme für den Erhalt einiger Managerpositionen an deren Wohnort wichtig sein, nicht aber für die expansive Bearbeitung des europäischen Marktes durch Wertschöpfung aus Österreich. Ein attraktiver Wirtschaftsstandort braucht die Abwanderung von Konzernzentralen nicht zu fürchten, sondern freut sich immer aufs Neue über die stetige Zuwanderung.
Marc Hall ist Vorstandsdirektor der OMV und war maßgeblich an der Formulierung des ersten Privatisierungsprogramms 1993 beteiligt.