Wien - Dass der unleidliche Typ Znorko heißt und sein Gegenspieler locker auf Larsen hört, ist die letzte Konsequenz der auf Waagschalen ermittelten Schreibkunst Eric-Emmanuel Schmitts. Der Franzose, Jahrgang 1960, ist seit der Verfilmung seines Romans Monsieur Ibrahim oder die Blumen des Koran mit Omar Sharif, obwohl längst Bestsellerautor, einem größeren Europa ein Begriff. Das Volkstheater bringt nun erstmals sein Enigma (1996 mit Alain Delon uraufgeführt) nach Wien. Ein Enthüllungsstück mit philosophischem Anspruch.
Znorko also, ein Literatur-Nobelpreisträger, hat sich an den Rand der Zivilisation verkrümelt, weil ihm die Menschen nicht genügen. Keine Lebemannkoryphäe wie in Bernhards Über allen Gipfeln ist Ruh, sondern ein Einsiedlerfanatiker, geformt aus strindbergschem Zorn, der sich selbst ganz genügt; und der manchmal zu Brot und Wodka auch Lebendfleisch zur Triebbefriedigung auf seine Polarlichtinsel mitgeliefert bekommt. So hält der Schreibgigant das Menschliche niedrig, das Komplizierte fern. Und die Liebe zu einer vor fünfzehn Jahren zuletzt gesehenen Frau vorsichtshalber bloß in Briefen aufrecht.
Hallo mit Schuss
In diese unverwundbare Welt dringt zum unverhofft gewährten Interview der Provinzblatt-Journalist Larsen (Alexander Lhotzky) - auf ihn wird zur Begrüßung gleich zweimal geschossen! Mit Wollmütze und Reporterrucksack stürzt er in die auf der Schmalspurbühne des Volkstheater-Plafonds zugemöbelte Blockhaushütte (Bühne: Rudolf Schneider-Manns Au) wie ein Nebenbuhler aus dem Wandschrank. Und befragt den von Thomas Stolzeti zum ruppigen Grandseigneur erhobenen Znorko zum zuletzt veröffentlichten Briefroman. An neuralgischen Stellen kreischen dazu die Möwen aus den Dachbodenwänden. Regie führte Georg Lhotsky, der an den Rändern eines mittelmäßigen Dialogtheaters immer wieder zur Spannung findet.
Im neuen Roman scheint die Spur zum wirklichen Leben des Dichters gelegt zu sein, die Spur zu einem Leben, das tatsächlich einmal gelebt wurde, einer Liebe, die tatsächlich gefühlt wurde, bevor man ein kalter Polardorsch wurde. Nur dieses wenig Reale eines negierten Lebens wird dann in diesem Kunstgriffstück rückwirkend wiederum als Trugbild entdeckt: Der Journalist kennt die Dame, es ist seine eigene Frau! Und: Sie ist gestorben, aber schon vor zehn Jahren! Der Gipfel: Die Liebesbriefe verfasste von da an ihr verwitweter Mann!