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Manfred Stolpe zeigt sich bei der LKW-Maut von der Industrie "herb enttäuscht"

Foto: EPA/Kumm

Standard: Rechnen Sie damit, dass die elektronische Lkw-Maut in Deutschland am 1. Jänner 2005 startet?
Stolpe:Wir sind in der Beziehung geprügelte Hunde und sind 2003 herb enttäuscht worden von der Industrie. Wir haben in diesem Jahr einschneidende Verbesserungen erreicht. Zum einen haben wir die vertragliche Grundlage deutlich verbessert.

STANDARD: Das heißt, dass der Vertrag vorher zu Ungunsten des Bundes war?
Stolpe: Es gab großes Vertrauen in klare Zusagen von Unternehmen. Jetzt haben wir ein Vertragssystem, das sich weniger auf freundliche Worte verlässt, sondern sich deutlicher mit Vertragsstrafen absichert. Das zweite ist, dass wir eine Projektgruppe gebildet haben. Die kümmert sich auch um Auswirkungen auf europäische Partner bis hin zu der spannenden Frage der Kompatibilität mit anderen Mautsystemen. Drittens konnten wir ein Simultan-Controlling durchsetzen.

STANDARD: Funktioniert das neue Mautsystem nun wirklich zu Jahresbeginn 2005?
Stolpe: Wir haben keinen Hinweis, dass es nicht funktionieren könnte. Seit 20. September läuft eine Generalprobe mit verhältnismäßig kleinen Fehlern. So gibt es Fehlschaltungen, wenn ein Lkw nach Tirol fährt und zurückkommt, dann gibt es hin und wieder keine Anzeige. Generalproben sind dazu da, Fehler zu finden und rechtzeitig zu beseitigen. Dieser Fehler wurde aufgedeckt, eine Lösung wurde vorbereitet und der Fehler behoben.

STANDARD: Es gibt aber auch Probleme, weil noch zu wenig On-Board-Units, so genannte OBUs, zur automatischen Abbuchung in Lkw eingebaut wurden. Wie will man das hinkriegen?
Stolpe:Wir haben über 700.000 OBUs, hunderttausend sind eingebaut. Es wäre gut, wenn die Unternehmen stärker die Chance nutzen würden, auf dieses automatische System zuzugehen, weil das die schnellste und einfachste Form der Abbuchung ist verglichen mit den Terminals an den Tankstellen oder dem Internet.

STANDARD: Die Lkw-Maut sollte im August 2003 starten. Die Schadenersatzforderungen des Bundes an das Mautkonsortium Toll Collect, zu dem Deutsche Telekom, DaimlerChrysler und Cofiroute gehören, belaufen sich auf 4,5 Milliarden Euro. Wie viel davon, glauben Sie, bekommen Sie zurück?
Stolpe: Alles, glaube ich.

STANDARD:Und was ist realistisch?
Stolpe: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Wir haben die viereinhalb Milliarden nicht leichtfertig geltend gemacht, sondern stützen uns auf den Vertrag.

STANDARD: Sehen Sie mit Neid auf Österreich, wo mit einem technisch einfacheren System gestartet wurde, das aber immerhin Einnahmen bringt?
Stolpe: Wenn ich eine persönliche Beichte ablegen darf: Wenn ich damals zu entscheiden gehabt hätte und ich alleine auf der Welt wäre und keine Bindung an Vergaberecht vorläge, wäre ich in meiner vorsichtigen Art den österreichischen Weg gegangen.

STANDARD: Als Übergangslösung?
Stolpe: Als Einstieg in das Geschäft. Dann hätte man weiter probieren können. Wir waren das Versuchungskaninchen für ganz Europa. Ich bin überzeugt davon, in zehn, fünfzehn Jahren werden wir alle in Europa satellitengestützte Mautsysteme haben.
STANDARD: Zur Deutschen Bahn: Deren Chef Hartmut Mehdorn meint, dass es doch vor 2006 zu einem Börsengang kommen könnte. Halten Sie das für realistisch?
Stolpe: Ich glaube, es ist schon eine sinnvolle Entscheidung gewesen, dass man ein strenges Ziel 2006 aufgibt. Wenn ein größeres Wunder geschieht, schließe ich 2006 nicht aus. Aber für realistisch halte ich es nicht. Wenn Mehdorn den Druck aufrechterhalten will, halte ich das für legitim. Vor einem Börsengang muss ja noch eine Menge passieren. Es muss die Wirtschaftlichkeit verbessert werden. Dazu gehört auch, die Konsolidierungsmaßnahmen entschlossen fortzusetzen.

STANDARD: Gehören dazu auch die Fahrpreiserhöhungen ab Dezember, an denen viel Kritik geübt wird?
Stolpe: Der Vorstand der Bahn hat diese Frage der Erhöhung sehr sorgfältig erwogen. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen bei den Erhöhungen vor einem Jahr war Vorsicht geboten. Aber nicht zuletzt wegen der steigenden Energiekosten ist diese Entscheidung für das Unternehmen nachvollziehbar.

STANDARD: Die Zahlen für den Fern- und Güterverkehr der ersten neun Monate dieses Jahres liegen weit unter Plan. Beunruhigt Sie das?
Stolpe: Der Fernverkehr macht ein bisschen Sorgen. Das liegt eindeutig auch an der Konkurrenz durch die Billigflieger. Im Güterverkehr ist die Situation nicht negativ. Für Deutschland und für Österreich wird sich die EU-Erweiterung positiv auswirken.

STANDARD: Die Chefs der ÖBB waren zeitgleich, als in Deutschland auch der Bahnchef unter Beschuss war, in der Kritik. Warum hat man sich in Deutschland von politischer Seite entschlossen, den Bahnchef zu halten?
Stolpe: Herr Mehdorn ist ein außerordentlich tüchtiger Manager, der sich schon auf verschiedenen Schlachtfeldern bewährt hat. Er wird immer wieder auffällig, weil er kein Meister der Diplomatie ist. Aber das, was er wirtschaftlich voranbringt, die Verlässlichkeit seiner Arbeit und die Konsequenz, das spricht alles für ihn.
(Alexandra Föderl-Schmid, Der Standard, Printausgabe, 27.10.2004)