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Seit 1995 ist Glenn Lowry Direktor des Metropolitan Museums of Modern Art in New York. Der 48-jährige Harvard-Absolvent übernahm als sechster Direktor das MoMa in seiner schwierigsten Phase seit der Gründung: Das Gebäude an der 53rd Street in Manhattan wurde 2002 abgerissen, der Neubau wird am 20. November eröffnet. Neben seiner Tätigkeit als Museumsdirektor hat Glenn Lowry als Kunstgeschichtler bis- her 28 Bücher (mit)herausgegeben und geschrieben. Glenn Lowry führt wirtschaftlich erfolgreich das privat finanzierte MoMA. Er hat innerhalb von vier Jahren 800 Millionen Dollar akquiriert. Wie er das macht, ist nicht unumstritten, die New York Times nannte ihn ob seines Führungsstils "Robespierre" Lowry. Sein Privatleben hält er unter Verschluss. Lowry ist verheiratet und hat zwei Kin- der.

DER STANDARD: Sie sprechen Deutsch?

Glenn Lowry: Ein bisschen. (weiter auf Englisch) Ich hatte Deutsch im College. Jetzt träume ich davon, einmal drei Monate in Deutschland zu leben und den passiven Sprachschatz in einen aktiven umzuwandeln.

DER STANDARD: Im MoMA ist ein starker deutscher Einfluss zu spüren. Woher kommt das - doch wohl nicht von ihren Sprachkenntnissen?

Lowry: Das würde nicht reichen. Nein, es ist in der Geschichte des MoMA begründet. 1927 hat eine Gruppe von New Yorkerinnen beschlossen, dass eine richtige Metropole ein Museum für zeitgenössische Kunst braucht. Sie engagierten einen jungen Mann - Alfred Barr - der in Harvard Kunstgeschichte studierte. Er wurde auf eine Reise nach Europa geschickt. Sozusagen eine Mission in Sachen Kunst. Den längsten Aufenthalt hatte er in Deutschland, und sein vorderstes Ziel war ein Bauhausbesuch. Er bereist danach noch Russland, wo zu diesem Zeitpunkt die post-revolutionären Künstler mit Malern wie Malevich gerade sehr aktiv waren. Er kam zurück nach New York mit einem klaren Konzept: Kunst im 20. Jahrhundert ist multi-disziplinär: Architektur, Design, Bildhauerei und klassische Malerei. Man könnte sagen, die Bauhaus Idee: Alle Künste werden gleichwertig behandelt. Und wenn man sich heute unsere Sammlung anschaut, sieht man gerade für die ersten Jahre des vergangenen Jahrhunderts die starke Präsenz europäischer Kunst. Das hat sich natürlich später etwas zugunsten amerikanischer Künstler verschoben, aber der Bauhausgedanke ist das Fundament.

DER STANDARD: Ist der Eurozentrismus denn in den Staaten auf Begeisterung gestoßen?

Lowry: Nein. Gerade in den 30ern und 40ern gab es heftige Diskussionen, ob das MoMa nicht zu wenig amerikanisch sei. Das korrigierte sich in den 50ern und 60ern von alleine, als eine neue Generation amerikanischer und lateinamerikanischer Künstler die wichtigsten Werke weltweit schufen.

DER STANDARD: Wie wählen Sie aus einem schier nicht zu bewältigenden Angebot moderner Kunst so aus, dass inhaltlich tragfähige Ausstellungen dabei rauskommen?

Lowry: Das MoMA hat sechs Abteilungen: Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen, Architektur, Design, Film & Video. Jede Abteilung hat einen verantwortlichen Kurator, wir treffen uns alle zwei bis drei Wochen und sprechen über die Ausstellungen, die wir gerne machen würden. Manchmal basieren die Ideen auf dem Interesse eines Kurators, manchmal ergeben sich Dinge, wie die Warhol-Ausstellung jetzt zur Neueröffnung.

DER STANDARD: Und wer entscheidet darüber, was dann umgesetzt wird?

Lowry: Die Entscheidung liegt völlig in den Händen des Direktors.
Also in Ihren Händen?

Lowry: Ja. Wobei sich das autokratischer anhört, als es ist. Wir diskutieren als Gruppe, und nur wenn es eine Patt-Situation gibt, entscheide ich. Sozusagen als Zünglein an der Waage.

DER STANDARD: Seit acht Jahren sind Sie Chef des MoMA und haben zu Anfang für heftige Aufregung gesorgt. Ihre Kritiker warfen ihnen hemmungslose Kommerzialisierung vor: Shops, Internet-Seiten mit Devotionalien. Wie kommt es, dass Sie scheinbar leichtfertig den Elfenbeinturm entstaubt haben?

Lowry: Aus Ignoranz. Wenn man noch nicht viel weiß, ist die Angst, etwas falsch zu machen, kleiner. Ich gehe unter der Prämisse "Was macht ein gutes Museum aus? - Gute Kunst!" an die Sachen heran. Um gute Kunst kaufen zu können, braucht man Geld. Das heißt, ein Museum mit 600 Mitarbeitern, das im Jahr zwischen 30 und 50 Millionen Dollar für den Ankauf von Kunst ausgibt, ist ein Betrieb, der wettbewerbsfähig sein muss.

DER STANDARD: Berlins "Best of MoMA" war in einem Mies van der Rohe-Gebäude, der ja auch dafür vorgesehen war, das Metropolitan Museum of Modern Art in New York zu bauen.

Lowry: Ironie der Geschichte, denn 1939, als das MoMA gebaut wurde, schien es den Verantwortlichen zu schwierig, mit einem europäischen Architekten zu arbeiten, obwohl er der Wunschkandidat war. Doppelte Ironie, denn ein kleinerer Teil der Ausstellung geht auch nach Houston, und das dortige Museum ist auch ein van der Rohe-Gebäude.

DER STANDARD: Wird der Neubau des MoMA jetzt eine Hommage an Mies van der Rohe?

Lowry: Ja und nein. Ja, was die Transparenz nach außen betrifft, nein, weil unser Architekt Yoshiu Taniguchi natürlich kein Plagiat abliefert, und nein, weil sich die Kunstszene seit den 30ern verändert hat und die Werke ein anderes Umfeld brauchen. Bis dato war die Entwicklung in der Kunst linear - eine Schule führte zur nächsten, und so waren auch Museen aufgebaut: Postimpressionismus, Kubismus, Modernismus . . . Mittlerweile ist Kunst ein Chaos der verschiedenen Stile und Ideen, die gegeneinander ankämpfen. Zum andern braucht Kunst heute viel mehr Raum. Anselm Kiefers Gemälde etwa sprengen jeden Rahmen.

DER STANDARD: Wie sieht das konkret aus?

Lowry: Das neue MoMA wird eine urbane Lunge. Bisher war das Museum nur zu einer Seite geöffnet, jetzt wird es zu beiden Seiten des Viertels große Glasflächen haben. Wir ziehen die Stadt in das Museum und beziehen die Stadt im Museum mit ein. Früher gab es Stufen zum Eingang. Das drückte das Noble der Kunst aus. Sozusagen den Aufstieg des Besuchers in den Olymp. Es zeigt aber auch den Abstand zur Straße - im doppelten Wortsinn. Der neue Eingang ist ebenerdig.

DER STANDARD: Das drückt auch den spielerischen Umgang der Amerikaner mit Kunst aus. In Deutschland ist Kunst oft noch mit "versteh ich nicht" besetzt, was viele davon abhält, sich mit moderner Kunst zu beschäftigen.

Lowry: Ein sehr komplexes Feld. Amerikaner sind neugierig, reisen viel. Allerdings nur ein kleiner Teil. Wir haben das Glück, dass in New York viele Künstler leben und ein starkes Kunstinteresse da ist. Aber fahren Sie einmal in den Westen . . . Wir sind eine private Institution, die amerikanische Regierung unterstützt bildende Kunst überhaupt nicht. In Deutschland bin ich immer sehr erstaunt, wie viel Politiker von Kunst verstehen und wie umfassend die Unterstützung - im Verhältnis zu den USA - ist.

DER STANDARD: Was denken Sie über Daniel Liebeskind und seine Entwürfe für den Ground Zero?

Lowry: Ich finde, es ist ein beeindruckendes Projekt. Aber ich bin nicht wirklich überzeugt von seinem Vorschlag. Ich finde, er bemüht eine architektonische Sprache, die er hier - in Europa - entwickelt hat. Eine Sprache, die geprägt ist von dem Trauma, das der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat, und die geprägt ist von dem Sich-Erinnern. New York braucht Heilung, das Heilen einer Wunde, Zukunft, nicht Vergangenheit. Meine Bedenken gehen noch in eine andere Richtung. Ich habe nicht verstanden, warum so auf eine Neu-Bebauung gedrängt wurde. Dort sind 3000 Menschen begraben, es ist ein Friedhof. Ein Friedhof, der eine psychische Wunde gerissen hat, die sehr lange brauchen wird, bis sie verheilt. Und da verstehe ich den manischen Druck der Wiederbebauung nicht. Ich verstehe, dass man einen Ort der Erinnerung braucht, der den Familien hilft, über den Tod ihrer Männer, Frauen, Söhne und Töchter wegzukommen. Aber mir scheint, das kann nur in einzelnen Schritten passieren, und wahrscheinlich brauchen wir noch zwanzig, fünfzig Jahre, um darüber eine profunde Aussage machen zu können, wie man dort wieder arbeiten und leben kann.


DER STANDARD: Hat sich Ihr Geschmack in den fünf Jahren als Direktor des MoMA verändert?

Lowry: Geschmack ändert sich konstant. Aber ich bin privat nicht sklavisch der Museumsdirektor bei der Möbelwahl. Natürlich müssen Dinge Bestand haben - gute Materialien, ästhetischer Wert, interessanter Umgang damit. Und: Sie muss bequem sein.

DER STANDARD: Wer hat sie in der letzten Zeit besonders beeindruckt?

Lowry: Zum Beispiel Ingo Maurer und seine Lichtinstallationen. Ich frage mich, wie er auf die Ideen kommt. Es gab eine Zeit, da war Philippe Starck faszinierend, jetzt macht er zu viel. Aber auch dieser Ansatz: Gutes Design, bezahlbar für die Massen ist spannend. Das, was dabei herauskommt, ist natürlich fragwürdig. Oft ist ja die Idee spannender als das, was dabei rauskommt.

DER STANDARD: Etwas ganz anderes. Sie tragen nur rote Socken, woher kommt das Faible?

Lowry: Ich habe vor drei Jahren damit angefangen. Es gibt keinen wirklichen Grund. Es ist kein Modestatement, sondern ein ganz persönliches. Wie gestalte ich mein Leben einfach? Ich muss nicht mehr auswählen, welche Farbe ich trage. Es hätte auch Blau oder Orange sein können.

DER STANDARD: Das gilt auch für Kunst und das Leben damit. Was macht gute Sammler aus?

Lowry: Dass sie selten sind. Ich bin oft bei Sammlern in deren Wohnungen. Da sind dann unglaubliche Kunstwerke, und die Besitzer sind eingerichtet, dass ich mich frage, was haben sie sich dabei gedacht. Ästhetik zieht sich durch alle Bereiche - wie ich mich einrichte, was ich trage, womit ich mich umgebe, wenn ich esse oder lese.

DER STANDARD: Das heißt, dass Sie sehr rigide bei der Auswahl der Dinge, die sie umgeben, sein müssen?

Lowry: Ich werde von meiner Frau zurückgehalten. Ich wäre sehr rigide, aber sie lässt es nicht zu. Ich habe mein Arbeitszimmer, das ist genau so, wie ich es wollte. Der Rest der Wohnung ist ein Kompromiss zwischen den Kindern, meiner Frau und mir. Unsere Lösung ist eine Wohnung mit zwei Flügeln: den Bereich für die Kinder und den für Erwachsene. Zentrum und Treffpunkt sind Küche und Esszimmer.

DER STANDARD: Als Museumsdirektor sind Sie bestimmt auch privat von Kunst umgeben. Gibt es noch etwas, wovon Sie träumen?

Lowry: Ich hätte gerne eine Videoinstallation, aber ich kann sie mir nicht leisten.
(Der Standard/Andreas Tölke/rondo/29/10/2004)