Männer müssen nicht schön sein, hieß es noch vor gar nicht langer Zeit. Doch an dieser scheinbar unumstößlichen Wahrheit wird neuerdings heftig gerüttelt. Der Männerkörper ist als Werbeträger entdeckt. Durchtrainierte Torsos senden im Namen luxuriöser Duftstoffe unwiderstehliche Kaufsignale aus. Waschbrettbäuche und knackige Pobacken säumen mittlerweile jede U-Bahn. Und in den Zeitschriftenständern finden sich immer häufiger Magazine mit spärlich verhüllten Herren auf dem Titelbild. Die Welt hat sich verändert.

Vorbei scheinen die Tage, da sich der Macho im Mann mit seiner Fernbedienung unangefochten durch eine Flut weiblicher Werbereize zappen konnte. Immer häufiger begegnet er sich selbst und seinesgleichen. Die Typologie der männlichen Schönheit reicht vom Latin-Lover mit dichten schwarzen Haaren bis zum strahlend blonden Beachboy mit perlweißem Vorzeigegebiss, vom unterkühlt androgynen Adonis der Pariser Haute Couture bis zu den athletischen Körpern reklametauglicher Olympioniken. Kurzum, es ist nicht mehr allein das Weib, das lockt.

Der Mann hat sein Betrachtermonopol verloren. Er ist nicht länger das alleinige Subjekt der schönen bunten Werbewelt, sondern auch ihr Objekt, und zwar mit Haut und Haar - bis hinein in die Gesteinsfalten seiner gemeißelten Anatomie. Das ist eine kleine Revolution.

Entsprechend ruhiger geworden ist es an der Porno-Front. Es gibt ihn zwar noch immer, den ehrenwerten Kampf gegen die Herabwürdigung des weiblichen Körpers zum Sexobjekt, doch seit dem Männerkörper Ähnliches widerfährt, hat die Aufregung spürbar abgenommen. "Sex sells" ist nach wie vor das herrschende Prinzip, heute sogar mehr denn je, da die Tabugrenzen und Schamschwellen von Kampagne zu Kampagne sinken. Aber seit die Zurschaustellung von nackter Haut und sekundären Geschlechtsmerkmalen auch vor der männlichen Physis nicht mehr Halt macht, gibt es immerhin eine Art "ausgleichende Ungerechtigkeit".

Der Mann ist dadurch nicht schöner geworden, aber er muss sich neuerdings vergleichen lassen. Jedes Kind weiß heutzutage wie ein Waschbrettbauch auszusehen hat und fragt sich inzwischen zurecht, warum Papa kein Sixpack, sondern eine Bierwampe vor sich herträgt.

Das athletische Ideal ist fest in den Köpfen verankert

Wem heute die Form fehlt, der hat es nicht leicht. Immer seltener wird die Fähigkeit von Männern im so genannten besten Alter, so zu tun, als wären sie nur Auge. Sehen, ohne sich selbst zu sehen - to see and not to see - das war einmal der Inbegriff einer gesunden männlichen Ignoranz. Doch dieser Vorzug, Frauen zu begutachten, ohne den eigenen Körper kritisch in Betracht zu ziehen, ist wie so viele patriarchale Privilegien vom Aussterben bedroht.

Anspruchsvoll sind sie geworden, die Voyeure vom anderen Geschlecht. Nachdem sich die Frau jahrhundertelang hat begaffen lassen müssen, will sie nun auch etwas geboten bekommen, und das nicht nur auf dem Niveau der "Chippendales" oder anderer männlicher Strip-Shows, sondern von Männern aller Klassen. Das athletische Ideal ist fest in den Köpfen verankert. Es scheint, als würde das Abendland damit zu seinen antiken Wurzeln zurückkehren. Vor 2500 Jahren in Griechenland war es vor allem die männliche Anatomie, die gepriesen, besungen und in Skulpturen verewigt wurde. Die Olympiaden von damals waren nicht nur ein Festival der sportlichen Höchstleistungen, sondern auch das Defilee der schönsten Körper, die größte männliche Muskelschau. Mit einem entscheidenden Unterschied: Frauen waren damals als Zuschauer nicht zugelassen.

Die alten Griechen wussten, warum. Sie wollten sich von ihren Gattinnen und Töchtern nicht fragen lassen, warum sie neben den Athleten aussahen wie die Ritter von der traurigen Gestalt. Für den Mann von heute hat sich viel geändert, auch wenn man es ihm nicht unbedingt ansieht. Wer tagtäglich dem Vergleich mit anderen perfekten Körpern standhalten muss, wer von den Werbebotschaften der Kosmetikindustrie und den Verlockungen der plastischen Chirurgie hin und her gerissen wird wie einst nur das weibliche Geschlecht, dessen Verhältnis zum Körper steht Kopf. Passé ist die simple Auffassung, dass der Mann der Macher und der Körper das Werkzeug ist. Das Verhältnis zur eigenen Physis ist komplizierter geworden, seitdem die Herren der Schöpfung aus ihrer Körpervergessenheit erwachen. Männer müssen erkennen, dass es auch bei ihnen nicht nur auf den Kontostand und die Größe des PKW, sondern ebenso auf das Äußere ankommt.

Der eigene Leib fordert mehr und mehr Aufmerksamkeit. Er will gewaschen, gepflegt und in Stand gehalten werden wie bisher das Auto an freien Tagen. Magazine voller Fitnessprogrammen und Ernährungstipps kursieren für alle jene, die sich selber helfen wollen. Allen anderen bleibt nur der verzweifelte Griff zu Schlankheitspillen und den Werbebroschüren der plastischen Chirurgie.

In den USA gilt der "Muskelwahn" bereits als anerkannte Krankheit

Gegen ein größeres Ernährungs- und Körperbewusstsein beim Mann ist freilich nichts einzuwenden. Doch es zeigt sich bereits, dass auch das starke Geschlecht von den vielen damit verbundenen Neurosen nicht verschont bleiben wird. Das muss nicht auf Bulemie für Männer hinauslaufen, doch in den USA gilt der "Muskelwahn" bereits als anerkannte Krankheit. Der Körperkult unserer Zeit geht auch am Mann nicht spurlos vorüber. Und dennoch kommt es nicht zu dem viel beschworenen "Gendercrossing", einer fortschreitenden Annäherung der Geschlechter.

Sah es Anfang der Neunziger noch so aus, als würden die Frauen immer maskuliner und die Männer immer femininer, scheint der Trend heute in die entgegengesetzte Richtung zu gehen: Die Frauen werden auf selbstbewusste Art immer weiblicher, die Männer betont männlicher. Die Geschlechter gleichen sich nicht an, doch sie unterliegen denselben Gesetzen: Auch Männer müssen schön sein, neuerdings. Nur dürfen sie sich - anders als Frauen - nichts darauf einbilden. So viel Unterschied muss sein. (Der Standard/John von Düffel/rondo/29/10/2004)