Forschung & Geschlecht
Unter der Woche: Fast Food, am Wochende Genießer
Ein Kongress zum Thema Esskultur
Barcelona - Stress sollte auf keinen Fall unsere Essgewohnheiten bestimmen. Darüber waren sich die TeilnehmerInnen eines internationalen
Kongresses zum Thema "Mediterrane Ernährung" einig, der am Donnerstag in Barcelona zu Ende ging. "Vor nicht allzu vielen Jahren wurde
der Tag noch nach den Mahlzeiten eingeteilt, heute bestimmt der Zeitdruck, wann und was wir speisen", betonte Jesus Contreras,
Sozialwissenschafter an der Universität Barcelona. Der einhellige Tenor der Fachleute lautete daher: Schon Kinder sollen zu einer richtigen
Esskultur erzogen werden.
"Unter der Woche stopfen wir Nahrung in uns hinein, um möglichst schnell den Hunger zu stillen. Am Wochenende verwandeln wir uns
plötzlich zu Genießern, die bewusst und überlegt essen", analysierte Contreras. Bei mangelnder Zeit werden Lebensmittel besonders
unüberlegt eingekauft und konsumiert, führte Isabel Avila vom Bündnis der spanischen Hausfrauen aus. "Dabei benötigt eine gesunde Mahlzeit
nicht mehr Zeitaufwand als ein ungesunder Snack - es dauert keine fünf Minuten, um Früchte mit Jogurt zu mischen oder einen Salat
anzumachen."
"Die Werbung hat ohne Zweifel wesentlich zur Änderungen unserer Essgewohnheiten beigetragen", betonte Isabel Avila. "Wir speisen viel zu
oft mit den Augen als mit dem Mund", ergänzte Contreras. Laut Küchenchef Joan Cuni Soler aus der katalanischen Hauptstadt sei deswegen
die Gastronomie gefragt, "Gästen gesunde Speisen attraktiv zu servieren - und damit schmackhaft zu machen".
Besonders Kinder nehmen viel zu wenig Fisch, Gemüse und Salate zu sich, wie zum Beispiel eine Studie in Kreta ergab. "In den Schulen ist
Aufklärungsarbeit nötig", unterstrich der griechische Ernährungswissenschafter Anthony Kafatos, der in seiner Heimat an einer erfolgreichen
Kampagne mitgewirkt hat. In Zusammenarbeit mit Lehrern und Eltern wurden Buben und Mädchen an Schulen in Kreta über die Bedeutung
von Essen und Trinken informiert - nach wenigen Wochen konnte u.a. ein Rückgang an übergewichtigen Kindern registriert werden.
Kleine Veränderungen am Speiseplan haben oft große Wirkungen. "Darüber müssen wir Schul-, Spitals- und Werksküchen unterrichten",
sagte Javier Aranceta Bartrina, Ernährungsexperte aus Bilbao. "Viele Leute nehmen in Kantinen ihr einziges geregeltes Essen zu sich. Darum
muss man dort ansetzen. Wenn sich also zum Beispiel ein Arbeiter richtig ernährt, bleibt er nicht nur gesünder, sondern auch die Produktivität
steigt." Und Consuelo Lopez Nomdedeu von Gesundheitsinstitut in Madrid meinte: "Wenn wir Kranken lediglich Pillen verschreiben, sie aber
nicht über die Bedeutung von Ernährung informieren, lassen wir eine große Chance aus."
Beim Kochen und Essen könne jeder einzelne Verantwortung über sein Wohlbefinden tragen, unterstrich Isabel Avila. Sie schwört auf die
mediterrane Kost mit ihrem überwiegenden Anteil an Gemüse, Obst, Ballaststoffen und Olivenöl. Aber selbst am Mittelmeer hätten zahlreiche
Menschen "vergessen, dass es eine große Anzahl an verschiedenen Produkten" gibt. Gesunde Kost muss nicht gleich mit teureren Waren
gleichgesetzt werden. Denn im mediterranem Raum entwickelte sich zu einer Zeit eine ansehnliche Esskultur, als die Menschen noch in
ärmlichen Verhältnissen lebten.
"Die mediterrane Diät ist eine einzige Freiheit", so Ferran Adria, Koch in Roses (Spanien). "Die Zutaten kommen aus aller Welt und lassen
sich nach Belieben mixen. Es gibt keine Grenzen, alle Kulturkreise steuern etwas bei." An die nordeuropäischen KongressteilnehmerInnen gewandt,
stellte der Meister am Herd mit einem Augenzwinkern aber noch schnell fest: "Es gehört ein gewisses Feeling dazu - das Meer und die Sonne
bestimmen unser Lebensgefühl und damit auch die Küche." (APA)