"Kratki Baschik"

Foto: Festival
Wien - "Es war ein weiter Weg in den 20. Bezirk, ans Wasser, wo sich auch mediterranes Flair breit macht. In der Jägerstraße sind Dur und Moll sicherlich in der Minderheit, da hört man eher orientalische und afrikanische Musik - was sehr inspirierend ist." Hannes Löschel ist umgezogen. Innerhalb jener Stadt, in der er seit 41 Jahren lebt. Doch der Treck vom noblen Wiener Westen in den multikulturell geprägten Arbeiterbezirk Brigittenau, das war für ihn so, als wäre er über den großen Teich gekommen und nicht nur über den Donaukanal.

Er hat Löschels Blick auf die Stadt und seine Beziehung zu ihr geschärft, die eigene Identität Thema werden lassen. Wobei literarische Déjà-vus ebenso anregend wirkten wie klingende Eindrücke: "Wenn ich die Flaktürme im Augarten betrachte und die darunter spielenden Kinder, für die diese Kriegsrelikte wichtige Bezugspunkte sind, wenn ich im Sommer durch den dunklen Augarten jogge und plötzlich auf einen Platz komme, wo 300 Sommerkino-Besucher Humphrey Bogart anstarren, dann sind das für mich Eindrücke, die mich an Heimito von Doderer erinnern."

Dass für Löschel die Wien-Migration zum inneren Initialerlebnis werden konnte, das hat auch damit zu tun, dass der Pianist und Komponist, der sich mittlerweile zu einer der aussageträchtigsten Figuren der Wiener Improvisationsszene entwickelt hat, bereits einen anderen langen Marsch hinter sich hat: Jenen von der musikuniversitär fundierten Interpretation amerikanischer Klavierliteratur (Cage, Cowell, Feldman) zur Improvisation und weiter zur Elektronik. Das Trio Löschel-Skrepek-Zrost (1997: Hans-Koller-Preis) bedeutete einen ersten Kristallisationspunkt. Auch das in raffiniert-abstrakten Materialerkundungen brillierende Trio Antasten mit Josef Novotny und Thomas Lehn sei erwähnt, anno 2002 machte Löschel durch das grandiose Film ist.Musik-Projekt mit Gustav Deutsch auf sich aufmerksam.

Wobei für den Pianisten stets auch Zweifel an seinem Tun als produktive Triebkräfte fungierten: Sprüche vom Klavier als "sterbendem Instrument" konnte man da wiederholt vernehmen. Heute gibt er sich weniger drastisch: "Das Klavier ist ein historisches Instrument, das seinen Höhepunkt vor etwa 100 Jahren hatte. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Im 20. Jahrhundert hat man mit Präparierungen gearbeitet - diese haben Grenzen, irgendwann arbeitet man gegen das Instrument. So bin ich zur Elektronik gekommen. Und weiter zum Konzept gezielter Instrumentierungen, über die man das Klavier mit der Gegenwart in Bezug setzen kann. Das hat mich mit meinem Instrument wieder etwas versöhnt."

Das ist auch der Grund, weshalb er am Samstag im Rahmen der Premiere seines Kratki Baschik-Projekts beim Unlimited-Festival zu Wels einen instrumentalen Widerpart im Quintett aufbietet: Josef Novotny obliegt die Aufgabe, die Klaviertöne u. a. mit elektronischer Liveprozessierung ihrer staubigen Aura zu entledigen. Der Titel verweist auf Heimito von Doderer, exakter: dessen Erzählung Ein anderer Kratki-Baschik über den gleichnamigen Wiener Schausteller und Zauberkünstler.

Es handelt sich hier um einen Rundgang durch seine Wiener Lebenswelt, die Löschel hier - zwischen Delektieren und Brechung - zelebriert. "Wobei Kratki-Baschik für die Methode steht, in einem Nummernprogramm Brücken zu bauen, etwa einer Salonmusik einen klingenden Kometenschweif anzuhängen, in dem sich die Musik wie von Zauberhand verwandelt." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.11.2004)