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Washington - Pferdekopf, Chamäleonaugen, Affenschwanz: Dass Seepferdchen Fische sind, sieht man ihnen nicht an. Fischer in der Antike hielten sie für die Fohlen von Neptuns Kutschpferden, die Menschen in Europa dichteten ihnen wundersame Heilkräfte an. Daran glauben die Anhänger der Traditionellen Chinesischen Medizin noch heute.

Bis zu 24 Millionen Seepferdchen wurden laut Internationaler Naturschutzunion (IUCN) jährlich gefangen, um sie zu medizinischen Pülverchen zu verarbeiten. Weitere hunderttausende gingen als Lebendfang in den Aquarienhandel. Mit diesem Raubbau, der die Tiere beinahe ausgerottet hat, ist nun Schluss: Der internationale Handel mit Seepferdchen steht unter Kontrolle des Washingtoner Artenschutzabkommens (Cites): Die Tiere dürfen nun nur noch mit Cites-Papieren ausgeführt werden, und jedes Land muss nachweisen, dass der Export die Wildbestände nicht gefährdet. "Das ist ein Präzedenzfall für den Artenschutz", freut sich die US-Meeresbiologin Amanda Vincent, die auch die IUCN berät. "Zum ersten Mal überwacht Cites den Handel von kommerziell wichtigen Meeresfischen."

Ein weiteres Novum in der Geschichte von Cites ist, dass dieser Schutz gleich für die gesamte Gattung Hippocampus gilt. Zu ihr gehören alle 34 bekannten Arten. Diese Entscheidung ist der verwirrenden Systematik der possierlichen Meeresbewohner geschuldet: "Schon für Wissenschafter ist es schwierig, alle Arten auseinander zu halten", erklärt Vincent. "Stellen Sie sich die armen Kontrolleure an den Grenzen vor - das würde ihre Arbeit lahm legen."

Die noch nicht vollständig erforschte Biologie der Seepferdchen ist bizarr: Schwangerschaft und Geburt sind Männersache. Der Paarung geht ein Balzritual voraus, bei dem Weibchen und Männchen mit ineinander gehakten Ringelschwänzen durchs Wasser tänzeln. Stunden können vergehen, bis das Weibchen seinem Partner reife Eier in eine Tasche am Bauch legt. Nach dem Akt verschließt sich die Bruttasche und das Männchen besamt die Eier.

Die Tragezeit dauert zwischen zehn Tagen und sechs Wochen. Die meisten Seepferdchen haben pro Wurf 100 bis 200 Junge, die sofort selbstständig sind. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass ein Kabeljauweibchen mit einem Mal rund 200.000 Eier ablaicht. Trotzdem brauchen überfischte Kabeljaubestände lange, um sich zu erholen. Das gilt umso mehr für die sich langsam vermehrenden Seepferdchen. Diese bleiben ihrem Partner ihr Leben lang treu. Die Beziehung pflegen sie durch morgendliche Begrüßungstänze. Den Rest des Tages verbringen sie getrennt - in treuer Verbundenheit. Was romantisch klingt, ist ein weiterer Grund für die Schutzbedürftigkeit der Gattung Hippocampus: Bei geplünderten Beständen erweist sich ihre Monogamie als Bumerang: Wenn einer der Partner weggefangen wird, stoppt der andere zunächst seine Fortpflanzung. Auch fällt es ihm schwer, sich neu zu verbandeln, denn Seepferdchen leben in geringen Dichten. Und die Fische sind schlechte Schwimmer. Wenn sie die Nachbarschaft nach einsamen Herzen abklappern sollen, müssen sie ihre Tarnung aufgeben - ihr einziger Schutz. Ob im Seegras oder im Korallenriff: Fast immer gelingt es ihnen, mit der Umgebung optisch zu verschmelzen.

Das nur zwei Zentimeter kleine Zwergseepferdchen H. bargibanti zum Beispiel gibt es in Rot und Gelb. Rote leben auf einer roten Weichkoralle, gelbe auf einer gelben. Dieser Farbwechsel verwirrte selbst Wissenschafter. Sie fanden erst nach aufwändigen Studien heraus, dass es sich um dieselbe Art handelt. Und erst kürzlich wurde eine neue Spezies entdeckt: H. denise, mit 1,6 Zentimetern das kleinste Seepferdchen der Welt. (Monika Rößiger/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4. 11. 2004)