Man hat es ja kommen sehen können. Der Wahlsieg von George W. Bush hat sich schon lange abgezeichnet, eigentlich seit jenen dramatischen Tagen nach dem 11. September 2001, als der Präsident den "Krieg gegen den Terror" erklärte und damit genau das lieferte, was die vom Terror traumatisierten Amerikaner benötigten. Bush hat in den Meinungsumfragen von Anfang an geführt und auch zuletzt einen kleinen Vorsprung behalten.

Und dennoch ist die ganze Bedeutung dieses Wahlergebnisses nur schwer zu fassen. Die Wähler haben mit deutlicher Stimmenmehrheit einen Mann wiedergewählt, der das Land seit 2000 dramatisch nach rechts geführt hat, und haben ihm mit einer verstärkten Mehrheit im Kongress die Möglichkeit gegeben, diesen Weg in den kommenden vier Jahren weiterzugehen. Die Gegner dieser Politik, die noch am Wahlabend so viel Hoffnung hatten, dass sie mit John Kerry die Nation wieder in die politische Mitte zurückholen können, sind eindeutig in der Minderheit geblieben. Der Graben zu Europa und zum Rest der Welt ist dadurch noch tiefer geworden.

Denn die Bush-Republikaner sind keine Konservativen, wie sie etwa in Frankreich oder Österreich regieren, sondern revolutionäre Ideologen auf einer religiös inspirierten Mission. In ihrem Weltbild gibt es kaum Grautöne, nur eine klare Trennung zwischen Gut und Böse. Durch eine Verkettung von Zufällen ist ein Politiker mit diesem Temperament zum mächtigsten Mann der Welt aufgestiegen und hat in den Terroranschlägen des 11. September seine ideale politische Berufung gefunden.

Angesichts eines komplexen und mit militärischen Mitteln kaum lösbaren Problems wie dem islamistischen Terror hat Bush den Kriegszustand ausgerufen und sich selbst zum Kriegspräsidenten erklärt. Dahinter steht die fixe Idee, dass die "Feinde der Freiheit" und damit der USA nur durch ständige Demonstrationen der Stärke besiegt werden können; dass jedes Zögern bereits ein Zeichen der Schwäche ist, das bloß neue Aggression provoziert. Ein Führungswechsel inmitten des Kriegs, so ein beliebtes Wahlkampfargument der Republikaner, wäre bereits ein tödliches Schwächesignal gewesen.

Die Mehrheit der Amerikaner haben ihm das geglaubt und nicht Kerrys Warnungen vor einem ständigen sinnlosen Kriegszustand. Sie haben Bush auch nicht für das Fiasko des Irakkriegs, in das er sein Land mit Unwahrheiten hineingezogen hat, abgestraft, sondern ihm nun ein echtes Mandat erteilt.

Sicher hätte John Kerry im Wahlkampf vieles besser machen können. Vor allem hätte er eine klarere Alternative zur Irakpolitik Bushs präsentieren müssen. Aber selbst dann wäre er - oder ein anderer Demokrat - gegen die Angstkampagnen der Republikaner wahrscheinlich unterlegen. Der 11. September hat die USA für einen Präsidenten vom Schlage Bushs vorbereitet. Er ist der Mann der dunklen Stunde.

Beinahe hätte Bush seine historische Chance verspielt. Sein waghalsiges Irak-Abenteuer war so schlecht geplant und durchgeführt, dass angesichts der täglichen Horrornachrichten aus Bagdad selbst manchem Bewunderer Zweifel an Bushs Führungsqualitäten wuchsen. Doch am Ende siegte der Glaube an die Mission über die Ausführung, die Vision über die Realität.

Ein hoher US-Regierungsbeamter hat dies gegenüber dem US-Journalisten Ron Suskind so formuliert: "Wir sind jetzt ein Imperium und schaffen unsere eigene Realität. Während ihr unsere Realität studiert, handeln wir wieder und schaffen dadurch neue Realitäten, die ihr wieder studieren könnt."

Diesem Grundsatz folgend werden die USA weiterhin so handeln, dass sie Millionen von Menschen in aller Welt gegen sie aufbringen. Und wurde bisher zwischen dem amerikanischen Volk und seinem Präsidenten unterschieden, so wird das nach dieser Wahl kaum noch geschehen. Die Amerikaner haben sich mit ihrer Wahl Bushs radikalen Visionen ausgeliefert. Jetzt müssen sie ihm wohl oder übel folgen. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.11.2004)