Malerische Landschaft in der Niederen Tatra

slovakiatourism.sk
Lebte der legendäre slowakische Räuber Jurai Janosik heute, würde er sein Unwesen vielleicht im "Aquapark Tatralandia" treiben - dort hätte er zumindest die Chance, ein paar "Reiche" um ihre Wertsachen zu erleichtern. Obwohl - Reichtum ist in der heutigen Slowakei ein relativer Begriff, noch mehr als im 18. Jahrhundert, zu Janosiks Lebzeiten.

Und außerdem müsste der "slowakische Robin Hood" erst einmal die vierschrötigen Security-Männer und ihre noch vierschrötigeren Hunde überwinden, und überhaupt. Jedenfalls täte sich Janosik in der heutigen Nord-Slowakei, zwischen Fatra und Tatra, sehr schwer, seinen Gewohnheiten nachzugehen: Reiche zugunsten der Armen auszurauben. Glaubt man vielen Slowaken, läuft es heute gerade umgekehrt.

Jedenfalls zählt die Nord-Slowakei zu den ärmsten Gegenden im Aufsteiger-Starland der EU. Kaum Industrie, hohe Arbeitslosigkeit, Plattenbau-Siedlungen auf der grünen Wiese. Die Menschen in dieser Region müssen von weniger als 400 Euro pro Monat leben. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist: überwältigende Natur, bizarre Felsformationen, scheinbar endlose Wälder, beeindruckende Karsthöhlen, Berge zum Besteigen, Begehen, Befahren - mit Skiern oder Mountainbikes. Und ein reiches kulturelles Erbe, Produkt der wechsel- und schmerzvollen Geschichte der Slowaken, die sie mit Ungarn und Österreichern teilen. Nicht zu vergessen die Menschen in dieser Region: Sie wollen raus aus der wirtschaftlichen Depression und trotzdem daheim bleiben. Was also tun?, fragten sich viele junge Nord-Slowaken.

"Tourismus", war die logische Antwort - und das ist eine zukunftsträchtige Alternative, selbst wenn der koreanische Autokonzern Kia in Kürze sein Werk bei Zilina eröffnet und 3000 Menschen endlich die ersehnte Arbeit bekommen.

Im Hinterland der Bezirkshauptstadt, dort, wo die Hügel zu Bergen werden, liegt Terchová. Das kleine Dörfchen wäre nicht der Rede wert, würden nicht Jahr für Jahr zehntausende Volksmusik-Fans dorthin kommen, um die Sanges- und Spielkunst der slowakischen Gruppen zu bewundern. Doch nicht nur für Folklore-Freaks, sondern alle, die an sanftem Tourismus mit sportlichen Akzenten interessiert sind, hat die Nordslowakei einiges zu bieten.

In Terchová betreiben Peter und Daniela Mihálik das moderne, komfortable Hotel-Restaurant "Gavurky". Das junge Paar hat den Tourismus in Tirol gründlich gelernt, spricht perfekt Deutsch und strengt sich an - "so wie fast alle hier in der Region", sagt Daniela. Das "Gavurky" bietet günstige Angebote für Jungfamilien - und nicht nur für ausländische. Die Preise sind auch für Slowaken günstig, das ergibt eine angenehme Gäste-Mischung. Das ist nicht überall selbstverständlich.

Den gigantischen Aquapark "Tatralandia" bei Liptovský Mikulás etwa (zu Deutsch Sankt Nikolaus in der Liptau), mit Thermalbecken und den wohl atemberaubendsten Wasserrutschen in Binnen-Europa, einem Wellness-Center mit zig verschiedenen Saunas und Dampfbädern, können sich die meisten slowakischen Gäste nur tageweise leisten.

Im angrenzenden Feriendorf haben die ausländischen Touristen die Lufthoheit - Polen, Ungarn, Tschechen - und natürlich Österreicher. 130 Meter haben sie in "Tatralandia" gegraben, bis sie auf die Thermalwasser-Quelle stießen. Zufall war das keiner, die Nord-Slowakei hat eine lange, bis ins Altertum zurückreichende Tradition bei Kurbädern - aber auch moderne Anlagen, wie etwa in Rajecké Teplice.

Skifahren in der Niederen Tatra (die Hohe ist zumeist zu zerklüftet für den Bau von Pistenanlagen) ist eine eher gemütliche Angelegenheit - breite Pisten, sanfte Gefälle, ideal für Familien mit kleinen Kindern. Wem eher nach einem Besichtigungs-Urlaub ist, den erwarten gut 200 Burgen und Ruinen in der Slowakei. Ein paar Prachtexemplare, wie Oravský Podzámok, stehen auch in der Nordslowakei. Die dortige Ahnengalerie ist ein Spaziergang durch Alt-Österreich: Die Palffys, die Esterhazys und Thurzos - alle haben sie einmal diese beachtliche Burg besessen und von oben das hügelige Umland kontrolliert.

Pittoresk auch das Dörfchen Vlkolínec, das die UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben hat, mit seinen uralten Holzhäuschen und Schindeldächern, wo Frauen mit Kopftüchern Bütten über den Bach tragen, als wäre die Zeit stehen geblieben. Wer sich die Mühe macht, findet dieses und ähnliche Zeugnisse einer alten Kulturlandschaft überall - hinter den verarmten Bezirksstädten, zwischen heruntergekommenen Häuserzeilen und zwischen hastig neu gebauten Einfamilienhäusern. (Der Standard/rondo/5/11/2004)