In Marienthal spürten Lazarsfeld, Jahoda und Zeisel in den Jahren 1931-32 den sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit nach: Die Existenz der Siedlung stand bis zur Weltwirtschaftskrise in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem lokalen "Big Player", der Textilfabrik Marienthal-Trumauer. Sie florierte in den zwanziger Jahren, geriet aber in Schwierigkeiten, wurde 1930 stillgelegt und bald darauf abgerissen. Fast die gesamte Erwerbsbevölkerung der 1.200 EinwohnerInnen zählenden Siedlung wurde arbeitslos, Marienthal selbst wurde zu einem klassischen Beispiel für den wirtschaftlichen Absturz eines ganzen Ortes.
"Müde Gemeinschaft"
Den SozialwissenschafterInnen aus Wien stellte sich Marienthal ein Jahr später als eine "müde Gemeinschaft" dar; "Hier leben Menschen, die sich daran gewöhnt haben, weniger zu besitzen, weniger zu tun und weniger zu erwarten, als bisher für die Existenz als notwendig angesehen worden ist", heißt es in der Studie. Die Lebenssituation der Arbeitslosen war durch zwei Faktoren beherrscht, die materielle Not und die psychische Verarmung.
1.200 Bilddokumente hat der Grazer Soziologe Reinhard Müller in den vergangenen beiden Jahren im Gemeindearchiv und Privathaushalten von Gramatneusiedl ausgehoben. Der am Grazer Archiv für Geschichte der Soziologie Österreich tätige Wissenschafter ist mit der Aufarbeitung des dortigen Nachlasses von Marie Jahoda beschäftigt. Im Zuge seiner Recherchen hat er sich immer tiefer in die Geschichte des ersten großen "Forschungsobjektes" Jahodas eingearbeitet. Neben Informationen aus Gesprächen mit ZeitzeugInneen bis hin zu einem ehemaligen Arbeiter der Fabrik hat sich inzwischen ein Bildkonvolut angesammelt, das nun einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden soll.