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Die hinduistische Göttin des Todes wird heute noch in ganz Indien verehrt.
Foto: APA/epa/A. Datta
Ausgehend vom Hauptstreitpunkt der Matriarchatsforschung - ob die matriarchale Vormachtstellung der Frau mit ihrer Herrschaft gleichzusetzen sei - hat sich insbesondere die feministische Forschung der Erörterung der Herrschaftsfrage angenommen. Sie verweist auf die vorbelasteten Begriffe des Matriarchats als "Mutterherrschaft" und der Gynaikokratie als "Frauenherrschaft", die schon deshalb mit Vorsicht zu bewerten seien, weil ihre Sprachwurzeln Herrschaftsverhältnisse implizieren, was jedoch den damit beschriebenen Zuständen zuwiderlaufe.

Herrschaftsfreier "Anfang der Mütter"

Die Verwendung des Terminus "Matriarchat" laufe Gefahr, mit jenem des Patriarchats nur mit umgekehrten Vorzeichen parallel gesetzt zu werden, woraus ein rückwärts in die Geschichte projiziertes Bild einer Männergesellschaft entstünde. Vor der "Herrschaft der Väter" habe es jedoch keine "Herrschaft der Mütter" gegeben, da die heute allgemein verbreiteten Herrschaftsstrukturen wie soziale Hierarchie, Befehlsgewalt einer Minderheit, Privateigentum, Kolonialismus und Missionierung vorpatriarchalen und anderen heute existenten Gesellschaftsformen unbekannt waren und sind. Diese herrschaftlichen Strukturen wurden erst um 2.000 v.u.Z. (Patriarchatsetablierung) geortet und haben sich mit der Ausbreitung des Patriarchats gefestigt.

Der Terminus "Matriarchat" ist ein neuzeitliches Kunstwort, das Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist als Gegenbegriff zum Patriarchat. Es setzt sich zusammen aus "mater" (Mutter) und dem griech. "árchein", das sowohl "herrschen" als auch "anfänglich" bedeutet. Dementsprechend wird "Matriarchat" mit "am Anfang die Mütter" übersetzt.

Hierarchiefreies "heiliges Beginnen"

Derselbe Wortstamm "arché" findet sich im Begriff "Hierarchie", dem - laut Forschung - dieselbe Vereinnahmung durch die patriarchale Ideologie widerfahren sei. Denn die ursprüngliche Bedeutung war das "heilige Beginnen", welches das sakrale bzw. spirituelle Wesen der frühen Gemeinschaftsstrukturen, das nichts mit Herrschaft von oben nach unten zu tun gehabt habe, bestätigt. Ein solcher Hinweis für die Umwandlung des Begriffes "Hierarchie" findet sich in der wahrscheinlichen Gründung des Patriarchats durch eine Priesterkaste. Diese Annahme entspricht der Übersetzung des griech. "hierarchía", der Herrschaft des Priesters.

Herrschen als männliche Erfindung

"Das Prinzip des Herrschens ist eine männliche Erfindung", definiert Borneman Herrschaft ganz eindeutig als vaterrechtlich, die den Organisationsformen der mutterrechtlichen Stammesgesellschaften widerspreche. Da es keinen Herrschaftsapparat und keine Exekutivgewalt gegeben habe, könne es auch keine Herrschaft gegeben haben, folgert Borneman in "Das Patriarchat" (Frankfurt/Main 1975). Und alleine aus der matrilinearen Deszendenz und/oder matrilokalen Exogamie könne keineswegs der Typus einer weiblichen Herrschaft über Männer konstruiert werden, fügt Trallori in "Vom Lieben und vom Töten" (Wien 1990) hinzu.

Aus allen Forschungsergebnissen geht hervor, dass es sich bei den matristischen Gesellschaften der Alten Welt um geschlechtsegalitäre und "demokratische" Sozialorganisationen gehandelt habe. Auch Berichte von überlebenden matristischen Stämmen scheinen geeignet, die Nichtexistenz einer "Frauenherrschaft", auch wenn das "Weibliche" im Vordergrund steht, zu bezeugen.

Beispiele für geschlechtsegalitäre Gesellschaften

Bei den wenigen, noch existenten egalitären Gesellschaften wird ganz deutlich: Die Ressourcen und die Verwaltung derselben werden zwischen Frauen und Männern aufgeteilt. Macht ist symmetrisch zwischen den Geschlechtern verteilt. Die Forschungen von Ute Luig und Ilse Lenz in "Frauenmacht ohne Herrschaft" (Berlin 1990) belegen die Geschlechtersymmetrie.

Bei den afrikanischen WildbeuterInnen (San, Hazda, Mbuti) liegt die Gleichheit in den selben Zugangschancen beider Geschlechter zu Wirtschaft, Politik und Religion. Bei den IrokesInnen, wo sich das Patriarchat nicht durchsetzen konnte, besteht die weibliche Machtfülle zum einen in der wirtschaftlichen Organisation und Kontrolle des Stammes und zum anderen in der Bemächtigung, politische und religiöse FührerInnen zu wählen und abzusetzen. Bei den Hopi wiederum treffen Frauen die wichtigsten ökonomischen Entscheidungen über Anbau und Austausch, während Männer in öffentlichen Beratungen und Ritualen Vorrang haben. Ähnlich bei den Minangkabau, wo die Wirtschaft frauenbestimmt und die politische Repräsentation männlich ist. (dabu)