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Aus amerikanischen Präsidenten spricht Gott, und zwar direkt, das ist bekannt. Nicht jeder Politiker kann sich auf dieses Privileg berufen. Das hat Folgen. So haben die Salzburger Nachrichten neulich gefordert: "Die SPÖ muss Alfred Gusenbauer absetzen". Das war kein Anfall von Fundamentalismus, es handelte sich nur um ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie leicht Verwirrung von einer Partei auf ein Medium überspringen kann. Nicht nur wird die SPÖ Gusenbauer trotz göttlicher Abstinenz nicht absetzen, sie wird ihn vielmehr bei ihrem Parteitag im Amt als Vorsitzenden und als Spitzenkandidaten für die nächsten Nationalratswahlen bestätigen. Und das aus zwei einfachen Gründen: Erstens gibt es derzeit, das heißt zumindest in dieser Legislaturperiode, zu ihm keine plausible Alternative, und zweitens müsste die SPÖ dazu einen Irrtum zugeben, noch ehe bis zur Neige bewiesen ist, ob es sich um einen solchen handelt.

Es war schließlich die SPÖ, die Gusenbauer auf einem Tiefpunkt ihrer Geschichte gewählt hat - eine schwere Verantwortung, die sie nun nicht so einfach allein auf den Gewählten abschieben kann, wie die SN das fordern. Die Partei hat nach langem Abstieg seither bei sämtlichen Zwischenwahlen zugelegt - in Salzburg sogar historisch -, was sicher nicht (allein) Gusenbauers Verdienst ist, aber auch nicht gerade ein ihm anzurechnender Makel. Und wie die Wahlen 2006 ausgehen, kann heute niemand sagen. In den Umfragen liegt die SPÖ jedenfalls konstant vor der ÖVP.

Dass sie nach vier Jahren chaotischen und asozialen Regierens von Schwarz-Blau als große Oppositionspartei nicht einen viel deutlicheren Abstand zwischen sich und die ÖVP legen konnte und dass bei der Kanzler-Frage Wolfgang Schüssel weiter vor dem SP-Vorsitzenden liegt, als es der Amtsbonus rechtfertigt - das ist es, was Gusenbauer von vielen vorgeworfen wird. Zum Teil verständlich, nämlich dort, wo es um eine fehlende Linie und um vermeidbare Kommunikationsdefekte geht - etwas weltliche Führungsqualität darf man auch ohne den göttlichen Souffleur von jemandem erwarten, der startklar sein will, das Land zu führen.

Zum Teil werden dabei die Möglichkeiten eines Parteichefs überschätzt, seine Landsleute, insbesondere aber seine Parteifreunde davon zu überzeugen, dass in ihm vielleicht doch ein göttliches Fünkchen glimmt. Anderswo funktioniert diese Methode auch nur, wenn sie durch ein Regierungsamt untermauert ist. Hierorts arbeitet Wolfgang Schüssel daran, in der eigenen Partei sogar mit Erfolg. Um die Kärntner Krankheit seiner Partei zu kurieren oder den innerparteilichen Interessenkonflikt beim Finanzausgleich rechtzeitig vor dessen Abschluss auszuräumen, hätte Gottes Stimme aus Gusenbauer vielleicht etwas bewirken können, aber das ist nur eine Vermutung. Sicher ist, dass es sich in diesen Fällen nicht um die individuelle Gottverlassenheit des Parteivorsitzenden, sondern um eine der gesamten Führungsschicht der Partei handelt.

Die Volkspartei, ohnehin zu neoliberalem Fundamentalismus tendierend, wird aus dem amerikanischen Wahlkampf ihre Lehren ziehen, so ferne sie solche nicht schon vorweggenommen hat. Dass Wolfgang Schüssel als entschlossener Kriegskanzler im Kampf gegen die Bedrohung Österreichs durch das rot-grüne Chaos auftreten wird, davon ist einmal auszugehen: Einen solchen Charismatiker in einer kritischen Situation abzuwählen - reiner Vaterlandsverrat! Das Gusi-Bashing, dem sich ihre Spin-Doktoren seit langem konsequent und mit Hingabe widmen, ist ein integraler Bestandteil dieser Strategie.

Interessant wird sein, ob auch die SPÖ und ihr Vorsitzender aus dem amerikanischen Wahlkampf das eine oder andere lernen. Zielklarheit vielleicht, oder gar Geschlossenheit. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.11.2004)