München - Sie entstehen schnell und breiten sich schnell aus, sagt der Dortmunder Pfarrer Rüdiger Hauth: Kleine christliche Gemeinden in Deutschland, die von Predigern in den USA geprägt sind und hier ein radikales Christentum etablieren wollen. Auf einige 10.000 Anhänger schätzt der Beauftrage für Sekten und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche Westfalen die Gruppen, und die Zahl steigt. Sein pfälzischer Kollege Richard Ziegert geht sogar von 250.000 Anhängern aus.

Die betont frommen evangelischen Christen sind weltanschaulich auf der selben Linie wie US-Präsident George W. Bush. Doch während sie in den USA politisch fest verankert sind, suchen sie in Deutschland noch ihren Platz in der Gesellschaft.

Suche nach religiöser Heimat

Das typische amerikanische Verständnis von Religion lockt Menschen an, die nach einer religiösen Heimat suchen und mit den althergebrachten christlichen Kirchen in Deutschland nichts anfangen können, glaubt Hauth. "Das ist sehr emotional, es gibt viel Musik." Doch hinter der vordergründigen Fröhlichkeit stecke eine sehr strenge Auslegung der Bibel: "Dort wird die Bibel wörtlich genommen." Mit dem Bibeltext als Hilfe werde dann der Lebensstil der neuen Anhänger hinterfragt, die zum Teil "regelrecht terrorisiert" würden, sagt Hauth. "Dann heißt es auf einmal vorwurfsvoll: Wie, du trinkst gerne mal ein Bierchen?". Die Aussicht, irgendwann zu Propheterie oder biblischer Zungenrede fähig zu sein, motiviere die Menschen dennoch, bei den Gemeinden zu bleiben.

Konzept gleicht Evangelikalen

Das Konzept dieser neuen Gemeinden in Deutschland gleicht dem der Evangelikalen aus den USA, denen auch Bush nahe steht. Der von Kritikern als Präsident auf "christlicher Mission" bezeichnete Politiker sieht sich selbst als wiedergeboren an, seit er im Alter von 40 Jahren dem Alkohol abschwor und aus der Bibel Kraft für seine politische Karriere schöpfte. Wie Hauth und Ziegert sagen, werden die Prediger der deutschen Gemeinden in den USA geschult. Laut Ziegert, der sich seit längerem mit den US-Evangelikalen beschäftigt, fließt auch Geld aus den USA in die Gemeinden, um ihre Missionierungen in Deutschland zu unterstützen. "Es gibt hier außerdem viele Amerikaner, die missionieren."

"Keinerlei kirchliche Bindung"

Ziegert wirft den Gruppen aus den USA vor, eine "Umformung des deutschen Pietismus" vorzunehmen und mittlerweile keinerlei kirchliche Bindung mehr zu haben. "Das sind sektiererische Gruppierungen, die nicht zu Gunsten der Öffentlichkeit arbeiten." Im Mittelpunkt stehe eine Verbindung von Religion und Kapitalismus, bei der ein größtmöglicher Profit das Ziel sei. Auch politisch würden die Gruppen versuchen, in Deutschland allmählich Fuß zu fassen.

Unbedeutend

Doch während Bushs Republikaner schon traditionell dem Glauben große Bedeutung auch für politische Entscheidungen beimessen, fassten die Bemühungen nach politischem Einfluss bei den deutschen radikalen Christen bislang noch nicht Fuß. Die Partei Bibeltreuer Christen gilt noch am ehesten als ihr politisches Sprachrohr, da sie etwa die Homo-Ehe oder Abtreibungen radikal ablehnt. Mit gerade mal 101.645 Stimmen bei der vergangenen Bundestagswahl blieb sie aber unbedeutend.

Hauth und Ziegert sind jedoch uneins darüber, welche Strategie die wachsenden Gemeinden in Deutschland für die Zukunft haben. Der Dortmunder Pfarrer Hauth geht davon aus, dass sie politisch nicht aktiver werden, aber als Gemeinden "richtige Strukturen" kriegen und sich damit weiter etablieren. Dagegen erwartet Ziegert mit der Hilfe aus den USA auch ein wachsendes politisches Engagement. "Die neue christliche Rechte ist dabei, sich zu formieren." (APA/AFP)