Magdeburg - Der Bandscheibenvorfall zählt zu den Volkskrankheiten. Im Magdeburger Universitätsklinikum gehen die Mediziner jetzt neue Wege. Werden bei den chirurgischen Eingriffen bisher die defekten Bandscheiben ganz ausgeräumt und die beiden benachbarten Wirbel miteinander verblockt, so sollen jetzt Implantate aus Titan und Kunststoff das Leiden der Patienten beenden.

Erste Implantation

"Erste Erfahrungen mit der künstlichen Bandscheibe sind sehr ermutigend", berichtete Professor Raimund Firsching, Direktor der Klinik für Neurochirurgie der Otto-von-Guericke-Universität. Erstmals sei in Magdeburg im Mai 2002 eine künstliche Bandscheibe implantiert worden. Der Patient habe über unerträgliche Schmerzen mit Ausstrahlung vom Nacken in die rechte Schulter bis über den rechten Ober- und Unterarm in die rechte Hand geklagt und sei in der Folge arbeitsunfähig gewesen. Bereits kurze Zeit nach dem Eingriff war der Mann beschwerdefrei.

Hintergrund

Die Bandscheiben sind schmale elastische Gewebeplatten, die zwischen den 24 Knochen der Wirbelsäule eingebettet sind. Wie Sprungfedern oder Stoßdämpfer ermöglichen sie es der Wirbelsäule, sich zu beugen und zu drehen, im Normalfall ohne Schmerzen.

Mit zunehmendem Alter und abnehmender Aktivität verliert das elastische Gewebe der Bandscheibe Flüssigkeit. Die Bandscheibe wird dünner sowie schwächer und beginnt, sich an dieser Stelle vorzuwölben. Dadurch drückt sie mehr und mehr gegen den Wirbelsäulenkanal und die dort liegenden Nerven. Folge eines Bandscheibenvorfalls der Halswirbelsäule sei der plötzliche Schmerz im Nacken, häufig verbunden mit Ausstrahlung in eine Schulter und einen Arm, erklärt Professor Firsching.

Oftmals verlorene Beweglichkeit

Bei der Operation wird die Bandscheibe an der Halswirbelsäule ganz ausgeräumt und beiden benachbarten Wirbel werden fest miteinander verblockt, entweder mit Knochenzement oder anderen Materialien, die in den Zwischenraum eingefügt werden. Gegebenenfalls werde eine Versteifung auch mittels einer Platte und Schrauben an der Halswirbelsäule erzielt, so der Experte.

In vielen Fällen geht jedoch ein Teil der Beweglichkeit der Halswirbelsäule verloren. Weil die benachbarten Segmente zur Bewegung des Kopfes mehr belastet werden, sind sie besonders von Abnutzungserscheinungen betroffen und weitere Operationen können die Folge sein.

Auswege

Die Mediziner suchten Auswege: "Erfahrungen mit Implantaten, zum Beispiel an Zähnen und Gelenken, haben gezeigt, dass das Material Titan sich besonders gut mit Knochen verbindet. Bestimmte Kunststoffmaterialien erlauben Funktionen, die auch mehrere Millionen Bewegungen praktisch ohne Abnutzung überstehen", berichtete Firsching. Es sei gelungen, ein Implantat für die Zwischenwirbelräume der Halswirbelsäule aus Titan und Kunststoff herzustellen, die in bestimmten Größen angeboten, sich in jeden Zwischenwirbelraum einbringen lassen.

Seit der ersten Operation im Frühjahr 2002 wurden in Magdeburg inzwischen 90 weitere Eingriffe durchgeführt, unter anderem auch bei einer 33-jährigen Kinderkrankenschwester, die mit einer Lähmung im linken Arm die Neugeborenen kaum noch halten konnte und auch wegen ihrer starken Schmerzen seit längerem arbeitsunfähig war. Nun kann sie seit über zwei Jahren ohne Einschränkungen wieder arbeiten. (APA/AP)