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Yassir Arafat im Jahr 1970 in Kairo.

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Yassir Arafat, ein Freiheitsheld, ein Terrorist, ein Politiker, ein Gefangener: Fürs ganz normale Leben blieb ihm wenig Zeit in seinen 75 Jahren. Seine Ehefrau Suha, die kleine Tochter blieben Episoden in seinem Leben, seit Jahren lebte seine Familie in Paris, wo der erste – demokratisch gewählte – Palästinenserpräsident in einem Krankenhaus starb.

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Er wurde nicht in Palästina geboren, und er ist nicht dort gestorben. Yassir Arafat, eigentlich Muhammad Abdel-Rauf al-Kidwa al-Husseini, kam im August 1929 in Kairo – und nicht in Jerusalem, wie in seinen offiziellen Biografien steht – auf die Welt, als Sohn eines wohlhabenden Textilhändlers aus dem Gazastreifen, der sich wenige Jahre vor der Geburt seines sechsten Kindes, Yassir, in der ägyptischen Hauptstadt niedergelassen hatte. Die Jerusalemer Altstadt ist dennoch der Platz seiner Kindheit gewesen: Nach dem frühen Tod seiner Mutter wurden der Vierjährige und sein kleiner Bruder zu deren Familie nach Jerusalem geschickt, nach Kairo zurück kamen sie erst wieder später.

Arafats Schulabschluss und die Staatsgründung Israels fielen in dasselbe Jahr, 1948. Im ersten Krieg der Araber gegen den jungen jüdischen Staat betätigte er sich als Waffenschmuggler. In einem Interview mit seinem Biografen Alan Hart erzählte Arafat später, in der Nähe von Gaza habe ihm ein ägyptischer Offizier im Namen der Arabischen Liga die Waffen abgenommen: Das Motiv des Verrats der Palästinenser durch die Araber gehörte zu den wiederkehrenden Motiven in seinem Leben.

Den UNO-Teilungsplan für Palästina hatten die Araber 1947 abgelehnt. 1948: Für das in jahrhundertelanger Diaspora und Verfolgung geschundene jüdische Volk war es, drei Jahre nach dem Ende des größten Horrors, des Nazi-Holocausts, das Jahr der Erfüllung seines nationalen Traumes. Für die Palästinenser war es "al-Nakba", die Katastrophe, die Gründung eines jüdischen Staates auf palästinensischem Boden, verbunden mit Flucht und Vertreibung. Die Herausbildung dessen war im Gange, was heute – und wohl auch noch morgen – die für die meisten Israelis und Palästinenser völlig unterschiedlichen, scheinbar unvereinbaren Narrative, Erzählweisen, der beiden Völker sind.

Nom de guerre

Irgendwann während jener Zeit legte sich Yassir Arafat seinen Namen zu, im Kontext seines antiisraelischen Kampfes. Was aber allgemein sein nom de guerre genannt wird, Abu Ammar, hat mit einer frommen Tradition zu tun: Einer der ersten Muslime hieß Ammar bin Yassir (Ammar, Sohn des Yassir), also ist einer, der Yassir heißt – und keine eigenen Söhne hat, wie Arafat –, eben Abu Ammar (Vater des Ammar).

Arafat war 30, als 1959 die Basis für die Fatah, die sich dem bewaffneten Kampf gegen Israel verschrieb, gelegt wurde – bis dahin gab es in seinem Leben aber auch noch so etwas wie Normalität: 1957 bis 1965 war er als Bauingenieur in Kuwait tätig. Aber dann gibt es nur mehr "Palästina": 1964 die PLO-Gründung, 1968 wird Arafat Fatah-Sprecher, 1969 PLO-Chef. In der palästinensischen Bewegung gibt es die ersten Fraktionierungen: Arafat vertritt die palästinensisch- nationalistische Richtung, er wird, hier sei daran erinnert, früh als Repräsentant eines politisch gemäßigten Kurses gewertet. Den Stallgeruch der – im besten Fall – Duldung von Terrorismus wird er aber nie los, bis zum Ende nicht. Dass er ihn zeitlebens immer wieder in sein politisches Kalkül mit einbezogen hat, daran ist nicht zu zweifeln.

Es folgen die Kriege 1967, ein Präventivschlag Israels, und der Überraschungsangriff der Araber 1973 – eine Tageszeitung ist nicht der Platz, um das alles, auch die 70er- und 80er-Jahre erschöpfend darzustellen. Nur einige für Arafat wichtige Stationen: 1970, im "Schwarzen September", entledigt sich König Hussein von Jordanien der palästinensischen Gruppen, unter diesem Namen wird im Jahr darauf eine Palästinensergruppe die israelische Olympiamannschaft in München überfallen. Die PLO schafft sich eine neue territoriale Basis im Libanon: Das syrische Eingreifen im Libanon 1976 wird als von den arabischen Staaten gedeckter Eindämmungsversuch gegen die PLO verstanden, 1982 setzt die israelische Invasion all dem ein Ende, Arafat geht nach Tunis. Dort sitzt auch die Arabische Liga, die Ägypten nach dessen Friedensschluss mit Israel verlassen hat.

Gleichzeitig gewinnt Arafat seit Anfang der 70er-Jahre politisch an Statur, die arabische Gipfelkonferenz von Rabat im Oktober 1974 kürt die PLO zur einzig rechtmäßigen Vertreterin der Palästinenser. Dem fügt sich auch König Hussein und verzichtet auf die jordanischen Ansprüche. 1974 steht Arafat auch vor der UNO-Vollversammlung, mit Kefiya auf dem Kopf und umgeschnallter Pistole. An seinem Legitimierungsprozess wesentlich beteiligt ist Bruno Kreisky, als erstes westliches Land erkennt Österreich die PLO im März 1980 diplomatisch an.

Und immer wieder Terrorismusakte, bei denen – wie die Entführung der "Achille Lauro" – man nicht sicher ist, wie Arafat dazu steht, und immer wieder Konflikte mit den arabischen Regimen, die sich des israelisch-palästinensischen Konfliktes zur Selbstlegitimierung bedienen: Hunderttausende Palästinenser werden als Flüchtlinge in Lagern gehalten, die Integration wird ihnen, menschenverachtend zum politischen Faustpfand degradiert, verweigert. Und immer wieder auch die israelische Ambiguität: Selbstverständlich wollen wir Frieden – es waren die Araber, die keinen wollten –, aber die Grenzen, die dieses Israel haben soll, werden von seiner Führung bewusst nicht definiert.

1987 entzündet sich an einem tödlichen Vorfall zwischen israelischen Besatzern und Palästinensern im Gazastreifen die erste Intifada. Dort hat – zunächst von Israel mit zustimmendem Interesse verfolgt, handelt es sich doch um ein Gegengewicht zur PLO – der politische Islam einen Aufbruch erlebt, die Hamas. 1988: das Jahr der Ausrufung eines palästinensischen Staates, aber auch der Anerkennung der Resolutionen 242 und 338 durch Arafat: also implizit auch die des Existenzrechtes des Staates Israel. Das ist heute vergessen.

1990 findet die Kuwait-Invasion Saddam Husseins statt, Arafat ergreift die falsche Partei: Palästinenser müssen zuhauf die Golfstaaten verlassen, eine Katastrophe für viele, vom nach Hause geschickten Geld lebenden Familien in den besetzten Gebieten. Auch der Irak als Sponsor fällt weg. Aber auch Israel lässt Federn: George Bush senior unterstützt eine Nahost-Konferenz in Madrid, als sich Yitzhak Shamir sträubt, setzt es finanzielle Sanktionen.

Oslo-Friedensprozess

Dann, 1993, der Handschlag vor dem Weißen Haus, der Oslo-Friedensprozess, der Yassir Arafat gemeinsam mit Yitzhak Rabin und Shimon Peres den Friedensnobelpreis einträgt: eine Grundsatzabmachung zwischen Israel und den Palästinensern, in die jeder das Seine hineinlegt, Sicherheit für Israel, einen Staat für Palästina. Arafat kehrt im Triumph nach Palästina zurück. Als Politiker – er wird gewählter Präsident der Autonomiebehörde – scheitert er: Machterhalt – der auch mittels Korruption und Bewaffnung betrieben wird – und nicht Nation-Building oder Good Governance sind die Prioritäten seiner Regierung. Wobei aber auch der "Friedenspartner" verhindert, dass je ein Normalzustand eintreten kann: In den Oslo-Jahren verdoppelt Israel die Zahl der Siedler in den besetzten Gebieten. Ein zu früh und schlecht vorbereiteter – der abgehende US-Präsident Bill Clinton glaubt, sich schnell ein politisches Denkmal setzen zu können – Gipfel in Camp David zwischen Arafat und Ehud Barak geht 2000 schief. Clinton benennt, zum späteren Unbehagen auch seiner Berater, einen einzigen Schuldigen: Yassir Arafat.

Willig nimmt nicht nur die israelische Rechte, die Oslo von Anfang an bekämpft hat, sondern auch die enttäuschte Linke die Erklärung Clintons auf: Arafat wollte ja nie wirklich Frieden. Genau dasselbe Muster gibt es auf palästinensischer Seite: Die Israelis wollten ja nie wirklich Frieden.

Intifada

Die Intifada im September 2000: Laut israelischem Narrativ von Arafat bewusst losgebrochen, auf alle Fälle nicht verhindert, Realpolitik à la Arafat, der ja auch deshalb so lange unbestrittener Führer war, weil er destruktiven Instinkten der radikalen Palästinenser nachgab, wenn er glaubte, dass es ihm nützt: Und wieder Terrorismus gegen israelische Zivilisten. Mit israelischen Antworten, die schon rein statistisch eine klare Sprache sprechen. Die USA intervenieren anfangs, später fast nicht mehr, mit Befriedungsvorschlägen, abgenickt, schubladisiert: Tenet-, Mitchell-, Zinni-Plan, Roadmap. Arafat wird im Dezember 2001 in seinem halb zerstörten Hauptquartier – ein Symbol für die Zertrümmerung der palästinensischen Autonomie – in Ramallah festgesetzt: Er weiß, wenn er es verlässt, wenn er Palästina verlässt, wird er nie wieder zurückkehren, Israel wird es verweigern. Nun darf er zurück, wenn auch nicht nach Jerusalem. (Gudrun Harrer/DER STANDARD)