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Mr. Crowley, what went on in your head / Mr. Crowley, did you talk to the dead?", meditiert Ozzy Osbourne in einem Heavy-Metal-Song über den skandalösen Satanisten Aleister Crowley. Ähnlichen Fragen geht W. Somerset Maugham in Der Magier nach.

Er traf Crowley Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Paris, sie wurden flüchtige Bekannte. Jahre später erreichte ihn ein Telegramm: "Bitte sofort fünfundzwanzig Pfund senden. Muttergottes und ich verhungern. Crowley." Maugham schickte keinen Penny. Weder an Crowley noch an die Muttergottes. Dafür veröffentlichte er 1908 einen Roman über den schillernden Magier und Scharlatan.

Die bildhübsche Margaret verbringt vor ihrer Hochzeit ein Jahr bei einer Freundin in Paris. Dort besucht sie ihr zukünftiger Gatte Arthur Burdon, junger Arzt, strenger Rationalist und Pragmatiker - Mr. Five-o'clock-tea himself. In der Bohème treffen sie auf den mysteriösen Oliver Haddo. Diesem manischen Aufschneider werden magische Fähigkeiten nachgesagt - vor allem von ihm selbst. Darüber kann der kühle Arthur nur lächeln. Allerdings nicht lange: Haddo wird ihm Margaret abspenstig machen. Nichts können hässliche Magier besser gebrauchen als hübsche Jungfrauen.

Maughams Bohèmegesellschaft spiegelt eine Epoche am Rande des Nervenzusammenbruches wider. In der Dekade vor dem Ersten Weltkrieg stauen sich Dämonen düsterer Urzeiten unter dem Klarlack der besten Gesellschaft an, bis die schimmernde Oberfläche reißt und den modrigen Dunst schwefliger Alchimistenklausen verströmt. In dieser Zeit reist Madame Blavatsky entlang ihrer Schwindel erregenden Ahnenspirale und rückt jeden Tisch, an den sie geladen wird. Der satanische Georg Gurdjew vollführt zur selben Zeit in Paris seine Derwischtänze. Und niemand weiß genau, welche Lebewesen Crowley in seinen Hotelzimmern opfert.

Die Gesellschaft mag noch so sehr in die Moderne streben, in charismatischen Persönlichkeiten ballen sich die altertümlichen Dämonen. An dieser überspannten Atmosphäre hat sich Maughams lebhaftes Erzähltemperament entzündet. Der Magier ist ein giftig schillerndes Prachtexemplar fantastischer Décadence-Literatur. Hier diskutieren die Künstler über die morbiden Visionen Gustave Moreaus, fantasieren über das abgetrennte Haupt von Johannes dem Täufer, und die kostbaren Kleider der Frauen rascheln üppig wie Maughams Adjektive.

Der Zauberer Haddo murmelt noch einmal sämtliche mittelalterliche Hexensprüche, und der Magier Maugham beschwört ein letztes Mal den Formelsatz aus den fantastischen Romanen des neunzehnten Jahrhunderts. Bevor die Moderne ihr Formenlaboratorium explodieren lässt, gibt sich Maugham noch einmal mit schwelgerischem Herzen der großen schwarzen Erzählkunst hin. Und die beherrscht er meisterhaft.

Alles Streben des Hexers Haddo gilt der Erschaffung von Homunkuli in der Tradition des Oberalchimisten Paracelsus. Mit Oliver Haddo hat der Erzählmagier Maugham einen fleischigen, vitalen Prosahomunkulus Balzac'schen Ausmaßes erschaffen, der sich von Crowleys verwirrten Lebensgeistern nährt. (DER STANDARD, Printausgabe, 6./7.11.2004)