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Bora Cosic:
Das Land Null
Übersetzung: Katharina Wolf-Grieshaber. € 24,80/306 Seiten. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2004.

Foto: Archiv
Seit einiger Zeit lebe ich in einem alten Haus über dem Meer wie in einem Turm. Dort habe ich mich auf dem Rückzug vor meinem Land eingefunden, das mit einem Mal alle meine ehemaligen Territorien übernommen hat. Und so kann ich jetzt nur auf diesen Punkt zählen, meine letzte Bastion."

Man kann sich dieses Ich, das sich im jüngsten Buch von Bora Cosic vor einer feindlichen Umwelt an die Adria zurückzieht, als eine Art von jugoslawischem "Geistesmenschen" vorstellen, um in der Begrifflichkeit des Leider-nicht-Nobelpreisträgers Thomas Bernhard zu bleiben. In seinem Rückzug hat Cosic' Icherzähler durchaus einige Ähnlichkeiten mit den Bewohnern von Bernhards Kalkwerk. Cosic' Alter Ego ist zwar weniger rabiat, aber deswegen nicht unbedingt weniger radikal; im Gegensatz zu Bernhards hochgeistigen Verlierern gelingt es ihm, seinen Text, eine kryptische Anklageschrift gegen sein Land, "aufs Papier zu kippen". Und gleich Bernhard vollzieht er in seinem Schreiben auch eine Art von Auslöschung, die das Restjugoslawien von Miloevic & Co. in Das Land Null seines Buchtitels verwandelt.

Allein, die Auslöschung, den Konkurs, die Vernichtung haben andere vollzogen; dem gealterten Erzähler bleibt nur noch wie bei Boccaccio die Flucht vor der "Pest" in einen abgesicherten Ort auf dem Land, der sich leicht mit Rovinj, dem letzten Aufenthaltsort des Autors, identifizieren lässt. Hier kreist das Ich um Erinnerungen an "den Fremden meines früheren Lebens", flaniert durch die leeren Zimmer des Hauses, einmal in Metaphern des Raums, des Territoriums und seiner Besetzung, dann wieder in Bildern eines fiktiven Films, den es nur in seinem Kopf gibt, samt dazugehörigen Akteuren und Regisseur.

Es ist der Abgesang eines der wichtigsten serbischen Autoren nach dem Tod von Aleksandar Tisma. 1932 in Zagreb geboren und in Belgrad aufgewachsen, veröffentlichte er etwa 1982 einen Roman, der bis heute als Kultbuch über Titos rosarote Volksrepublik gilt: Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution. 2002 erhielt Cosic vom deutschen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse den Leipziger Buchpreis überreicht, nicht nur für seine virtuose Prosa, sondern auch für seine Rolle als essayistischer Mahner, die ihn zur persona non grata des Miloevic-Regimes werden ließ.

An Büchern wie diesen können Klappentexte freilich zu Verrätern werden. Hier, quasi als Grenzschranken zum Land Null, wird ein "radikales Alterswerk" angekündigt, ja "Urszenen des osteuropäischen Daseins". Das Erste mag stimmen; in der zweiten Behauptung (die sogar wiederholt wird) sind wieder einmal einem zart beleckten Lektor die Himmelsrichtungen und die eigene Kopf-Topografie durcheinander geraten. Der "Osten": Das muss hier wohl der imaginäre Ort finsterer Diktaturen sein, und des wahren (Natur-)Menschen, auch wenn der Osten eigentlich im Süden liegt. Das Wort "Jugoslawien" hingegen wird tunlichst vermieden.

"Radikal" ist dieses Alterswerk freilich. Hier steht ein erzählendes Ich im Zentrum, dem die Geschichten ausgegangen sind, das lieber über die Kategorien der eigenen Erfahrung schreibt und immer wieder besagte Zimmer- und Film-Metaphern bemüht. Ansonsten kreist der Erzähler fortwährend um den eigenen Nabel als Ermöglichungsstruktur seiner Beobachtungen, aber es gibt kaum andere Figuren (und wenn, dann als Schemen) und schon gar keine Dialoge.

Dieses essayistische Verfahren hätte seinen Charme auf 30 Seiten gut entwickeln können, auf mehr als 300 wird es vielen Lesern doch zu viel werden. Bleischwer sind die Gewichte, die auf diesem halb autobiografischen Ich lasten; nur seine aufblitzende Sprache entschädigt einen für den Serpentinenweg in seine letzte Fluchtburg. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 6./7.11.2004)