Was für eine Nationalhymne hätte die DDR wohl bekommen, wenn die Stadt Wien 1948 dem Komponisten Hanns Eisler entsprechende Arbeitsmöglichkeiten geboten hätte und dieser nicht nach Ost-Berlin übersiedelt wäre? Die Bemühungen des Schönberg-Schülers, nach seiner Rückkehr aus dem US-Exil in seiner Heimatstadt eine feste Anstellung zu finden, erwiesen sich als aussichtslos. In Ost-Berlin aber bekam er eine Professur an der Hochschule für Musik und vertonte nicht zuletzt die Nationalhymne der DDR.

Eisler ist nur einer von zahlreichen Österreichern, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus beruflichen oder auch aus politischen Beweggründen in die damals junge DDR übersiedelten. Viele von ihnen hatten zuvor aufgrund ihrer jüdischen Abstammung oder ihrer politischen Überzeugung die Jahre der Nazi-Diktatur im Exil verbracht und sahen in der DDR anfangs eine echte politische Hoffnung, während bei anderen die berufliche Herausforderung überwog.

Besonders das Kulturleben in Ost-Berlin wurde wesentlich von Österreichern geprägt: Die Hochschule für Musik, später nach Hanns Eisler benannt, wurde vom Wiener Musikwissenschaftler und KPÖ-Mitglied Georg Knepler gegründet. Am Deutschen Theater und in DDR-Filmen spielten zahlreiche ehemalige Ensemblemitglieder des kommunistischen Neuen Theaters in der Scala in Wien, das 1956 schließen musste. Scala-Mitgründer Wolfgang Heinz wirkte in Berlin später als Intendant des Deutschen Theaters.

Das Berliner Kabarett "Distel" wurde jahrelang vom Wiener Otto Stark geleitet. Walter Felsenstein gründete nach dem Krieg die Komische Oper, deren Intendant er bis zu seinem Tod 1975 blieb.

An der Staatsoper Unter den Linden wirkte der Tiroler Otmar Suitner mehr als ein Vierteljahrhundert als Generalmusikdirektor und Leiter der Staatskapelle. Auch im universitären Bereich waren zahlreiche Österreicher tätig, unter ihnen der bekannte Gerichtsmediziner Otto Prokop, Bruder des Sportmediziners Ludwig Prokop.

Aushängeschilder

Dem DDR-Regime dienten die Immigranten aus Österreich als willkommene propagandistische Aushängeschilder. Ihnen wurden Reisefreiheit und andere Privilegien gewährt, die dem durchschnittlichen DDR-Bürger versagt blieben. Im Westen hingegen wurden sie vielfach angefeindet, nicht zuletzt von den eigenen Angehörigen, wie sich Suitner erinnert: "Meine Verwandten in Tirol haben gemeint, ich hätte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen."

Eine Garantie für wohlwollende Behandlung in der DDR bot freilich auch der österreichische Reisepass nicht. Eislers häufige Reisen nach Wien wurden mit Argwohn betrachtet. Zu seinem Antrag auf mehrfache Aus- und Einreisen in die DDR im Zusammenhang mit einer Filmproduktion in Wien wurde im Protokoll einer ZK-Sitzung der SED festgehalten: "Mit Herrn Hanns Eisler ist zu sprechen, wo eigentlich sein ständiger Wohnsitz sein soll, in Wien oder in Berlin."

Wie Eisler arrangierten sich viele der Österreicher trotz mehr oder weniger großer Zweifel mit den Lebensumständen in ihrer Wahlheimat. Eisler blieb bis zu seinem Tod in der DDR. Er ist in einem Ehrengrab in Berlin-Mitte bestattet - auf dem selben Prominentenfriedhof wie seine Landsleute Hedda Zinner, kommunistische Vorzeige-Schriftstellerin in der DDR, Arnolt Bronnen, Schriftsteller und Dramaturg mit wechselhafter politischer Biografie, sowie Bertolt Brecht und dessen aus Wien stammende Frau Helene Weigel. Die beiden Gründer des Berliner Ensembles hatten 1950 als Staatenlose aus pragmatischen Gründen Österreichs Staatsbürgerschaft angenommen.

An einen anderen Österreicher erinnert eine Gedenktafel an der westlichen Stadtgrenze Berlins: Der 20-jährige Student Dieter Wohlfahrt hatte nach dem Mauerbau zahlreichen Ost-Berlinern zur Flucht durch einen Kanal in den Westteil der Stadt verholfen. Bei einem Fluchthilfeversuch im Dezember 1961 wurde er selbst angeschossen und verblutete - der Österreicher war eines der ersten Maueropfer. (Georg Schnetzer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. 11. 2004)