"Man muss aufpassen, was Rafsandjani sagt: Das gilt", pflegt der STANDARD-Korrespondent in Teheran, Amir Loghmany, zu empfehlen. Diese allgemeine Regel konnte man sich Ende Oktober in Erinnerung rufen: Da sagte der frühere iranische Präsident – der vielleicht auch der nächste, nach Mohammed Khatami, sein wird –, dass eine "akzeptable Lösung" im Atomstreit möglich sei. Und tatsächlich wird jetzt von einem in Paris erzielten Kompromiss zwischen Teheran und den drei vermittelnden EU-Staaten Großbritannien, Deutschland und Frankreich gesprochen. Einige Tage nach der Wiederwahl von George W. Bush ist diese Nachricht umso willkommener. Nicht nur, weil eine Einigung jenen in der USAdministration den Wind aus den Segeln nehmen würde, die die iranischen Atomambitionen am liebsten militärisch beendet sähen: Die Bush-Gegner fürchten zu Recht eine weitere Destabilisierung des Mittleren Ostens und weiteres Mobilisierungspotenzial für radikale Islamisten. Aber eine Einigung wäre auch ein dringend benötigter Beweis, dass die Europäer sich nicht darauf beschränken, die USA für ihre Brachiallösungen zu kritisieren, sondern dass sie auch selbst diplomatische Alternativen zustande bringen. Ausgestanden ist die Sache jedoch noch keineswegs. Wie der Kompromiss im Detail aussieht – und ob er Washington gut genug ist –, bleibt zu sehen. Einiges deutet darauf hin, dass man eine Formulierung gefunden hat, die einerseits ein sofortiges Ende des Uran-Anreicherungsprogramms bedeutet, andererseits, dass der Iran damit nicht einen endgültigen Verzicht auf diese Technologie, quasi für ewig, unterschreibt. Wie der Politologe Volker Perthes in einem Standard- Interview sagte, mag es einer US-Regierung nach den Wahlen leichter fallen, einen Kompromiss zuzulassen. Im Iran stehen die Präsidentschaftswahlen erst nächsten Sommer ins Haus, und das Thema nationale Sicherheit ist dabei um nichts weniger ein Renner als in den USA. Aber im Iran sind die neokonservativen Pragmatiker, die jetzt das Sagen haben, wohl zum Schluss gelangt, dass Uran-Anreicherung – gleich, ob zu zivilen oder zu militärischen Zwecken – dem Land im Moment mehr Unsicherheit denn Sicherheit bringen würde. Revolutionsführer Khamenei hat das zuletzt in der Freitagspredigt so formuliert, dass einem Schauer über den Rücken laufen: Der Iran brauche keine Atombombe, denn seine Atombombe seien die Massen von opferbereiten Jugendlichen. Wobei nicht sicher ist, ob sich Khamenei da in seiner mittlerweile bereits postpostrevolutionären jungen Bevölkerung nicht täuscht. Das hängt nicht zuletzt von der Klugheit Washingtons ab – großes Vertrauen kann man da nach den Erfahrungen im Irak allerdings nicht haben. Aber auch wenn der Fall Iran gut ausgehen sollte: Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die nukleare Non-Proliferation heute in der schwersten Krise überhaupt ist. Selbst wenn Unterzeichner des Atomsperrvertrags (NPT) ihr Recht in Anspruch nehmen, nur für zivile Zwecke Uran anzureichern, so schwingt trotzdem die Abschreckungsidee mit: "Seht, wir können es, wir haben zumindest die technische Option auf Waffen." Den NPT kann man auch verlassen, wie das Beispiel Nordkorea gezeigt hat. Dazu kommen noch die Atomwaffenländer, die den NPT nie unterschrieben haben, was niemanden kümmert: Indien, Pakistan, Israel. Es ist die Frage, wie lange es noch dauert, bis andere, ganz "normale" NPT-Staaten zum Schluss kommen, dass der NPT am Ende ist, und ihre eigene antinukleare Sicherheitspolitik revidieren. Noch dazu, wo auch die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China) – also diejenigen Staaten, die unter dem NPT Atomwaffen haben dürfen – nicht ihren im NPT festgeschriebenen Abrüstungsverpflichtungen nachkommen. Sie hängen weiter an ihren alten, überholten Sicherheitskonzepten – und wundern sich, wenn der Rest der Welt nicht gescheiter ist. (DER STANDARD, Printausgabe,8.11.2004)