STANDARD: Der Nahe Osten schien vor kurzem noch undenkbar ohne Yassir Arafat. Welche Änderungen stehen nun an?
Kepel: Es ist auffällig und meiner Meinung nach sehr symbolisch, dass Arafats Agonie auf die Wiederwahl von Bush folgt. In seiner ersten Amtszeit führte die Straße nach Jerusalem für den US-Präsidenten über Bagdad; dort lag seine absolute Priorität. Jetzt ist die Straße nach Bagdad gelinde gesagt verstellt. Auch im Nahen Osten, wo Arafat für Bush und Sharon ein Hindernis für Verhandlungen oder Vorwand war, stehen die Amerikaner nun am Berg. Sie müssen sich viel schneller, als sie meinten, eine neue Nahostpolitik zurechtlegen.
STANDARD: Wird Washington die "Roadmap" (Friedensfahrplan) neu aktivieren?
Kepel: Der US-Präsident ist wegen der Unmöglichkeit, ein drittes Mal anzutreten, vier Jahre lang weniger abhängig von den proisraelischen Kräften. Dies wird zu einer strategischen Neubeurteilung führen und wieder das traditionelle Gleichgewicht der amerikanischen Mittelost-Politik zwischen israelischen und Erdölinteressen herstellen.
STANDARD: Trotz Sharons Einfluss in der Bush-Regeirung?
Kepel: Natürlich schätzen die Likud-Vertreter in den USA diese Neuausrichtung nicht. Aber gleichzeitig müssen die Amerikaner auch auf ihre wirtschaftlichen und regionalen Interessen achten.
STANDARD: Die Palästinenser haben aber auch ein neues Problem: die Arafat-Nachfolge.