"Fremde Feder" ist eine Kolumne auf derStandard.at für KommentatorInnen von außen. Caspar Einem, ehemaliger Wissenschafts-, Verkehrs- und Innenminister ist derzeit Europasprecher der SPÖ und Vorsitzender des Bundes sozialdemokratischer AkademikerInnen.

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Bei einer hochkarätigen Veranstaltung zu Fragen der Europäischen Union in Wien sprechen zwei hochrangige polnische Vertreter der heutigen Opposition, darunter der Bürgermeister der Stadt Warschau. Und sie nehmen sich kein Blatt vor den Mund. Sie sagen uns, warum in ihren Augen für Polen die Beziehung zu den USA wichtiger ist, als die zu den europäischen Partnern und teilen uns mit, warum sie gegen die neue EU-Verfassung sind: Weil verhindert worden sei, dass in der Präambel zur Verfassung eine eindeutige Bezugnahme zu den christlichen Fundamenten Europas und zu Gott verankert wurde; uns wes’ Geistes Kind diese Verfassung sei, habe man ja jetzt erkennen können, als der italienische Kandidat für die Europäische Kommission nur wegen seines klaren Bekenntnis’ zur katholischen Kirche vom Europäischen Parlament verhindert worden sei. Weiters sei nun offen sichtbar, was mit dem in der Verfassung fest geschriebenen Ziel der besseren Koordination der Wirtschaftspolitik wirklich gemeint sei: eine Vereinheitlichung der Steuern. Und das sei für Polen nicht akzeptabel. Polen müsse in diesem Punkt Freiheit haben und werde keinerlei Druck auf seine Steuerpolitik akzeptieren.

Ich sitze neben dem scheidenden Kommissar Pascal Lamy, der nicht nur betroffen, sondern auch amüsiert ist. In Frankreich bereitet sich ein wesentlicher Teil der Sozialdemokraten um den ehemaligen Finanzminister Fabius auf eine Kampagne für ein "Nein" zur Europäischen Verfassung vor. Zu den wesentlichsten Argumenten zählen dabei: die Verfassung gebe mit ihren zahlreichen Bestimmungen zum Christentum und zur Kirche die klare säkulare Orientierung auf; die in der Verfassung verankerte etwas stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitiken reiche bei weitem nicht aus und die Ablehnung jedweder Steuerharmonisierung durch die Staats- und Regierungschefs in der Schlussredaktion der Verfassung könne nicht akzeptiert werden.

Damit läuft der Entwurf für eine Verfassung für die EU Gefahr, in zwei Staaten aufgrund derselben Bestimmungen mit einander zu hundert Prozent entgegen gesetzten Gründen abgelehnt zu werden. Lamy regt lächelnd an, den Bürgermeister von Warschau zur nächsten Vorbereitungssitzung der französischen Sozialdemokraten einzuladen und ihn dort dieselbe Rede halten zu lassen. Im Ernst: Offenbar müssen wir noch sehr viel mehr mit einander reden und versuchen, drauf zu kommen, was die anderen bewegt und offenbar müssen wir noch mehr tun, um diese Beweggründe zu respektieren und dann an einem Konsens arbeiten, wenn das zum gemeinsamen Vorteil geschaffene Instrument ‚Europäische Union’ funktionieren soll. Volksabstimmungen zur Verfassung unter den heutigen Bedingungen sind jedenfalls ein riskantes Glücksspiel.

P.S.: Die Verfassung erlaubt tatsächlich keinerlei Steuerharmonisierung im Bereich der Einkommens- und Unternehmenssteuern. P.P.S.: Man erwartet, dass der Bürgermeister von Warschau der nächste Staatspräsident, der andere Redner der nächste Regierungschef von Polen sein werden.