
"Fremde Feder" ist eine Kolumne auf derStandard.at für KommentatorInnen von außen. Caspar Einem, ehemaliger Wissenschafts-, Verkehrs- und Innenminister ist derzeit Europasprecher der SPÖ und Vorsitzender des Bundes sozialdemokratischer AkademikerInnen.
Ich sitze neben dem scheidenden Kommissar Pascal Lamy, der nicht nur betroffen, sondern auch amüsiert ist. In Frankreich bereitet sich ein wesentlicher Teil der Sozialdemokraten um den ehemaligen Finanzminister Fabius auf eine Kampagne für ein "Nein" zur Europäischen Verfassung vor. Zu den wesentlichsten Argumenten zählen dabei: die Verfassung gebe mit ihren zahlreichen Bestimmungen zum Christentum und zur Kirche die klare säkulare Orientierung auf; die in der Verfassung verankerte etwas stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitiken reiche bei weitem nicht aus und die Ablehnung jedweder Steuerharmonisierung durch die Staats- und Regierungschefs in der Schlussredaktion der Verfassung könne nicht akzeptiert werden.
Damit läuft der Entwurf für eine Verfassung für die EU Gefahr, in zwei Staaten aufgrund derselben Bestimmungen mit einander zu hundert Prozent entgegen gesetzten Gründen abgelehnt zu werden. Lamy regt lächelnd an, den Bürgermeister von Warschau zur nächsten Vorbereitungssitzung der französischen Sozialdemokraten einzuladen und ihn dort dieselbe Rede halten zu lassen. Im Ernst: Offenbar müssen wir noch sehr viel mehr mit einander reden und versuchen, drauf zu kommen, was die anderen bewegt und offenbar müssen wir noch mehr tun, um diese Beweggründe zu respektieren und dann an einem Konsens arbeiten, wenn das zum gemeinsamen Vorteil geschaffene Instrument ‚Europäische Union’ funktionieren soll. Volksabstimmungen zur Verfassung unter den heutigen Bedingungen sind jedenfalls ein riskantes Glücksspiel.