derStandard.at : Was sind die häufigsten Probleme von Jugendlichen mit islamischem Hintergrund und welche Problemfelder entstehen aus der Tatsache, dass sie zwischen zwei Kulturen pendeln?

Carla Amina Baghajati: Das ist natürlich nicht zu verallgemeinern. Wie alle Jugendlichen in diesem Lebensabschnitt beschäftigen sich auch die Muslimen mit Identitätsfindung, wollen ihren Platz im Leben finden, sich von ihrem Elternhaus emanzipieren. Für Leute aus zwei unterschiedlichen Kulturkreisen kann sich das natürlich von Vornherein schwieriger gestalten.

derStandard.at: Stehen islamischen Jugendlichen Ansprechpartner zur Verfügung?

Carla Amina Baghajati: Ja, für die Probleme und Anfragen Jugendlicher sowie für andere soziale Belange ist vor allem das Frauenreferat zuständig. Und natürlich soll als direkte Ansprechperson auch immer der jeweilige Religionslehrer zur Verfügung stehen.

derStandard.at: Wird dieses Angebot von SchülerInnen auch genutzt?

Carla Amina Baghajati: Ja. Auch bemühen sich die LehrerInnen, in Klassengesprächen Themen wie eben "Identitätsfindung" aufzugreifen und Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es nicht unbedingt belastend sein muss, seine Identität in zwei Kulturen festzumachen. Zwei verschiedene kulturelle Hintergründe können ein Schatz sein, "Brückenbau" wird heutzutage zu einer gefragten Kompetenz. Auch haben multikulturell aufgewachsene Menschen die Fähigkeit, rasch auf geänderte Bedingungen zu reagieren. Es geht darum, hier vorhandene Talente wahrzunehmen.

derStandard.at: Frauen sind ja oft die Verliererinnen unter den Einwanderern. Wie gehen die Jugendlichen damit um, als wichtiges Bindeglied zwischen ihren Müttern und der "Außenwelt" teilweise unentbehrlich zu sein?

Carla Amina Baghajati: Es ist eine Tatsache, dass Jugendliche sehr oft scheinbar banale Services für ihre Mütter leisten müssen, Übersetzungsdienste beispielsweise. Das ist natürlich nicht leicht. Einerseits, weil die eigene Mutter damit - von außen gesehen - in das Klischee der wenig intellektuellen, sozial niedrigstehenden Muslimin hineinfällt. Darauf werden Söhne und Töchter immer wieder angesprochen - auch von MitschülerInnen oder LehrerInnen. Das ist für die Jugendlichen keine leichte Situation. Doch ich möchte auch an dieser Stelle für die Frauen sprechen, die fehlende Sprachkenntnisse selbst als schmerzvollen Mangel erleben. In ihren Ursprungsländern wurde teilweise wenig bis kein Wert auf die Schulbildung von Mädchen gelegt, auch kamen viele in einer Zeit nach Österreich, in der es noch keine Deutschkurse gab. Mit 50 erstmals zu lernen ist unglaublich schwierig und das Problem wird oft aus Scham totgeschwiegen. Das heißt aber nicht, dass diese Frauen keine patenten und lebenstüchtigen Persönlichkeiten sind.

derStandard.at: Zum Klischee der "unterdrückten Frau". Welches Frauenbild haben junge Muslime in Österreich?

Carla Amina Baghajati: In einer Unterhaltung zu diesem Thema kam unlängst unter islamischen Jugendlichen das Gespräch auf das Klischee des islamischen Mannes als Pascha. Von beiden Seiten - Mädchen und Jungen - kamen heftige Proteste. Der Wert der Familie wird im Islam groß geschrieben. Eine Partnerschaft wird ausdrücklich als ergänzend und gleichberechtigt beschrieben.

derStandard.at: Wie gehen die Jugendlichen damit um, dass Frauen - vor allem in traditionellen Familien - trotzdem hauptsächlich für Familie und Haushalt zuständig sind?

Carla Amina Baghajati: Das ist sicher ein Punkt, an dem junge Leute, die auch die westlichen Diskussionen zum Thema kennen, kritische Fragen stellen. Dazu gehört auch die Frage, ob eine Frau in ihrer Rolle als Familienvorsteherin nicht durchaus Erfüllung finden kann. Westliche Frauen sind in der Realität immer öfter mit einer Doppelbelastung konfrontiert. Wichtig ist - hier wie dort - die Möglichkeit der freien Entscheidung.

derStandard.at: Haben junge Muslima die Wahl?

Carla Amina Baghajati: Kommt darauf an. Vieles ergibt sich leider, bevor eine Reflexion stattfindet, Entscheidungen werden zu früh getroffen. In manchen islamischen Traditionen ist es üblich, sehr früh zu heiraten - noch unter 20. Vor diesem Problem dürfen wir die Augen nicht verschließen. Ich spreche aber nicht von "Zwangsehen", ein Vorurteil, dem ich auch immer wieder begegne. Die Mädchen versprechen sich von einer Heirat die Unabhängigkeit vom Elternhaus, doch die Art der Partnerschaft bestimmt mit, wie frei sie wirklich sind. Ob sie Ausbildungen machen oder gleich Familien gründen. Sie wissen oft nicht, welche Verantwortung mit Ehe und Kindern auf sie zukommt. So bleibt der Traum der Selbstständigkeit oft ein Traum. Wenn die Ehe dann auseinander geht, stehen die jungen Frauen vor einem riesigen Problem, ohne Ausbildung und Absicherung rutschen die intelligentesten Frauen oft in Jobs ohne Zukunftsperspektive. Das ist tragisch.

derStandard.at: Hat die Diskriminierung von Jugendlichen mit islamischem Glauben seit dem Terror islamischer Fundamentalisten auch in Österreich zugenommen?

Carla Amina Baghajati: Das ist eine schwierige Frage, weil ich da nur auf subjektive Beobachtungen zurückgreifen kann. Auch bin ich der Meinung, dass man vor allem die positiven Beispiele hervorheben soll. Natürlich sind Jugendliche in der Schule blöden Witzen ausgesetzt. Und an dem Punkt, an dem das in Rassismus ausartet, tut es weh, da gibt es nichts zu beschönigen. Das zeigt aber, dass Nachholbedarf im Dialog existiert. Andererseits beobachte ich auch viele Initiativen an Schulen, die die kulturelle Vielfalt aufgreifen. An die Glaubensgemeinschaft werden zum Beispiel immer öfter Wünsche von LehrerInnen herangetragen, mit ihren Klassen Moscheen zu besuchen, um Hemmschwellen abzubauen und grundsätzliches Verständnis für andere Kulturen und Religionen zu fördern.

derStandard.at: Die Bedeutung von Religion bei Jugendlichen geht in Österreich tendenziell zurück. Sind junge Muslime stärker in ihrer Religion verankert?

Carla Amina Baghajati: Da gibt es natürlich ein breites Spektrum. Die einen übernehmen Traditionelles aus der Familie, die anderen reflektieren und passen an, anderen wiederum ist Religion inhaltlich bekannt, sie üben sie aber nicht aktiv aus. Doch gerade jetzt, im Fastenmonat, sah ich im Alltag immer wieder junge Leute, durchaus "coole Typen", die verstohlen in der Straßenbahn eine Dattel zum "Fastenbrechen" aßen.

derStandard.at: Wie schätzen sie die Aufregung um die "verhetzenden" Religionsbücher an zwei islamischen Privatschulen in Wien ein, die "News" auslöste?

Carla Amina Baghajati: Ich kenne die Bücher persönlich nicht, "News" hat außerdem nur Ausschnitte aus den Texten gebracht. Ohne Zusammenhang ist das schwierig zu bewerten. Im Koran heißt es zum Beispiel an einer Stelle "Tötet sie, wo immer ihr sie findet". Ohne den Zusammenhang zu kennen, kann diese - viel zitierte - Stelle leicht zu Missverständnissen führen. Tatsächlich bezieht sich dieser Satz auf den Verteidigungsfall und ist durch umfangreiche Regeln eingeschränkt. Im westlichen "Völkerecht" ist der Fall eines Angriffes ebenfalls geregelt.

derStandard.at: Die Kopftuchdebatte ist kürzlich durch ganz Europa gegangen. In Frankreich dürfen religiöse Symbole in der Schule nicht mehr getragen werden. Wie wird oder wurde diese Diskussion in Österreich geführt?

Carla Amina Baghajati: Die Kopftuchdebatte wurde in Österreich in einer gänzlich anderen Qualität geführt. Das halte ich für ein Indiz dafür, dass sowohl die Bevölkerung als auch die Behörden den Islam auf gleicher Augenhöhe wie die anderen Religionen betrachten. Es gab natürlich sehr polemische Beiträge in manchen Medien, trotzdem herrschte die Bereitschaft vor, der Sache auf den Grund zu gehen. Sogar die "Krone" brüstete sich einmal mit der österreichischen Toleranz in dieser Frage.

(mhe)