Grüne sagen Ade zur Neutralität.“ (Pilz im STANDARD für Ende der Neutralität ). Seit gestern Früh laufen die Telefone heiß. „Seid ihr verrückt geworden? Was wollt ihr? In die Nato?“

Unser Erweiterter Bundesvorstand hat nach zwei Jahren Vorarbeit ein Programm beschlossen. Jetzt haben wir ein neues Ziel: eine europäische Friedensordnung. Das Mittel dazu heißt „Vergemeinschaftung“. 25 Armeen und ebenso viele Verteidigungsminister – das soll Vergangenheit sein. Unter dem Dach einer gemeinsamen Außenpolitik, vom EU-Parlament kontrolliert, soll die Sicherheit zur gemeinsamen Sache werden. Die Gretchenfrage heißt „Nato oder Europa“ – und die EU wird entscheiden, ob ihre großen Staaten weiter militärische US-Satelliten bleiben – oder gemeinsam die Nachkriegszeit auch im Militärischen beenden.

Europa hat eine historische Chance, die Sicherheitspolitik neu zu bestimmen: als Instrument globaler Rechtsstaatlichkeit, von UNO und Internationalem Strafgerichtshof. Dem amerikanischen Recht des Stärkeren setzt Europa ein globales Recht für alle entgegen. Wenn sich Europa einigt, geht die Nato zu Ende. Dann wird sich auch Österreich entscheiden – ob es neutral bleibt oder der neuen Gemeinschaft beitritt. Wenn Europa diesen Weg jetzt weitergeht, wird Österreich in etwa 15 Jahren in einer Volksabstimmung über seine Neutralität entscheiden. Vorher sicher nicht.

Vorher bleibt die Neutralität Österreichs Beitrag zur europäischen Sicherheit. Nur wir haben den Verfassungsriegel, der uns vor dem Abrutschen in den Block der USA bewahrt. Wer den Riegel vor der Zeit aus dem Tor ziehen will, vertritt die Interessen der USA und nicht die Europas

Jahrelang haben wechselnde Regierungen die Neutralität der politischen Verwahrlosung überlassen. Die SPÖ ließ sie an den politischen Feiertagen im Herrgottswinkel anbeten und lieh der ÖVP bei jedem Versuch, eine weitere Scheibe von der Substanz wegzuschneiden, ihre Stimme. Einbalsamiert und ausgehöhlt ist die Neutralität für beide zum symbolischen Kleingeld verkommen. Wenn die ÖVP heute zum Frühstück in die Nato will und zu Mittag Europa feiert, kann man davon ausgehen, dass sie abends mit der Neutralität schlafen geht.

Trotzdem lebt die Neutralität. Keine Teilnahme an Kriegen, keine Stationierung fremder Truppen und kein Beitritt zu einem Militärbündnis – das klingt nach Irak und Afghanistan vielen zurecht sicherer als der globale Kampf gegen ein ständig wechselndes Böses.

Auf dieser Basis muss eine aktive Neutralitätspolitik neu begründet werden. Anders als fast alle muss Österreich auf seinem Sonderweg in die Gemeinschaft auf keine Bündniszwänge Rücksicht nehmen. In Deutschland versucht die Regierung, mit US-Fahnen in den Händen auf verschlungenen Wegen in eine europäische Zukunft zu gelangen. Wir haben das nicht nötig, können offen sagen, wohin wir wollen. Das ist die österreichische Chance. Bis dahin werden wir von Fall zu Fall entscheiden, wo wir helfen und mit eingreifen. Wir werden UN-Mandate fordern und prüfen, ob es nicht friedliche Alternativen gibt. Wenn wir ab und zu mit gutem Grund Nein sagen, wird uns kein großer Bruder zur Pakttreue mahnen können.

Aber warum wollen wir die Neutralität dann nicht mehr wie früher auf immer und ewig? Die Antwort heißt „Ruanda“ und „Kosovo“ und vielleicht schon bald „Montenegro“. Stück für Stück entsteht gegen den Widerstand der USA eine globale Sicherheitskultur. Ihr Kern heißt „Menschenrechte“. Nie wieder soll eine internationale Staatengemeinschaft zusehen, wie in Ruanda eine Million Menschen abgeschlachtet wird – und dann feststellen, dass eine einzige Brigade das verhindern hätte können. Nie wieder soll Europa in seinem Südosten hilflos in die nächste Krise taumeln – und nachher jammern, dass es wieder nicht mit einer Stimme gesprochen und mit einer Hand eingegriffen hat.

Nationales Symbol oder politisches Instrument – die Grünen haben sich klar für letzteres entschieden. Wenn wir dafür etwas Besseres, Gemeinsames bekommen können, wunderbar. Wenn nicht, wird Österreich neutral bleiben.

Wird das jetzt ernsthaft diskutiert? Frau Bures von der SPÖ meint, wir dienten uns jetzt der ÖVP an. Die ÖVP sieht uns nach wie vor auf der roten Seite. Eine der großen Fragen Europas steht auch für Österreich zur Entscheidung an. Aber VP und SP denken nur an die Betten des jeweils anderen. Aber wir sind nicht auf Bettensuche. Europa ist zum Glück mehr als schwarze Decken und rote Polster. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.11.2004)