Buenos Aires - Dass Argentinien unter der Präsidentschaft Juan Domingo Perons nach 1945 zum beliebten Exilland für prominente Nationalsozialisten avancierte, ist hinlänglich bekannt. Bekanntlich hoffte Peron, dass sein Land mit Hilfe ehemaliger Nazis zur Atom- und damit Weltmacht aufsteigen könnte. Wissenschafter aus dem Dritten Reich waren daher heiß begehrt - nicht nur in den Naturwissenschaften, auch in den Kultur- und Geisteswissenschaften. Exemplarisch dafür ist der Fall des österreichischen Archäologen, Anthropologen und NS-Politikers Oswald Menghin.

Der Historiker Daniel Lvovich hat sich intensiv mit dem Wirken der Nazi-Emigranten in Argentinien beschäftigt. Was die Wirkung der nach Argentinien ausgewanderten Nationalsozialisten auf die damalige argentinische Gesellschaft betrifft, verweist der an der Universidad Nacional de General Sarmiento (Provinz Buenos Aires) lehrende Historiker zuallererst auf die Bedeutung der Universitäten. Diese seien oft "geradezu zu Brutstätten von faschistoidem und antisemitischem Gedankengut" geworden, "was es vorher in dieser Form nicht gegeben hat, und was sich paradoxerweise mit dem Ende des Nazismus in Europa in Argentinien zu intensivieren begonnen hat".

Bürgerliches Wohlwollen

Dabei seien die Ankömmlinge aus der zerstörten Alten Welt nicht zuletzt auf das Wohlwollen eines in großen Teilen klerikal-faschistoid eingestellten Bürgertums im Land am Rio de la Plata gestoßen. Der argentinische Antisemitismus sei traditionell in enger Verbindung mit "rechtskatholischen Ideen gestanden, wie sie etwa im Österreich unter (dem christlichsozialen, Anm.) Bundeskanzler Engelbert Dollfuß vorherrschend waren."

Menghin - ein berüchtigter Antisemit

Der aus Meran in Südtirol stammende Archäologe Menghin war laut Informationen des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien von 1935/36 Rektor der Alma Mater und schloss sich nach einem kurzen Intermezzo im Führungsrat der Vaterländischen Front als Aufbereiter eines akademischen Antisemtismus sehr bald den Nationalsozialisten an.

Sein Werk "Geist und Blut" (1933, vor allem die Kapitel "Über Volkstum" und "Die wissenschaftlichen Grundlagen der Judenfrage") wies Menghin als berüchtigten Antisemiten mit christlich-fundamentalistischem Hintergrund aus, so die Historiker Philip L. Kohl und J. A. Pérez Gollán in einer wissenschaftlichen Untersuchung. Im "Anschluss-Kabinett" von Arthur Seyss-Inquart wurde Menghin Unterrichtsminister, wobei er umgehend die Arisierung der Universitäten anordnete.

Vorträge in US-Internierungslagern

Nach dem Krieg gelangte der Anhänger der Kulturkreislehre als Mitglied der Seyß-Inquart-Regierung auf die "erste Kriegsverbrecherliste". Zur Anklage kam es aber nie, der braune Gelehrte hielt statt dessen Vorträge in US-Internierungslagern. Als er - wie viele prominente Köpfe des NS-Regimes - 1948 nach Argentinien kam, waren seine Thesen zu Gesellschaft und Staat wie maßgeschneidert für eine den Peronisten genehme ideologische Koketterie mit faschistischem Gedankengut. Nach Buenos Aires kam Menghin auf Vermittlung von Verbindungsleuten hochrangiger Nazis zu wichtigen Regierungsstellen, denen er zu einem Gutteil die Fortsetzung seiner akademischen Karriere verdankte.

Lvovich beschreibt den Vertreter des "anderen Exil" so: "Menghin war ein intellektueller Rassist und an der Universität von La Plata maßgeblich am Aufbau der argentinischen Anthropologie beteiligt. Diese Leute waren in Bezug auf die Verbreitung und Perpetuierung von totalitärem Gedankengut im Argentinien nach 1945 wesentlich einflussreicher als etwa die militärische Elite, die ins Land gekommen ist." Der Journalist Uki Goni meint, in demografiepolitischen Fragen hätten Leute wie Menghin, die eine universelle Kulturtheorie vertraten, im Argentinien der 40er, 50er Jahre durchaus fruchtbaren Boden vorgefunden. Das "rassistische Selbstverständnis" des argentinischen Bürgertums sei mit der propagierten Eigenwahrnehmung der Nationalsozialisten als "rassisch-politische Elite" durchaus kompatibel gewesen.

Pläne

Bald wurden, vom Topos eines Argentinien als "leerem Land" ohne eingesessene Bevölkerung ausgehend, Pläne geschmiedet, die Migrationsströme nach krausen sozialen Ordnungsprinzipien zu strukturieren, wobei man ethnologische Kategorien mit Klassendenken zu verbinden suchte: So sollten Einwanderer aus Nord- und Westeuropa die weiße Elite des Landes bilden, denen ein Proletariat gegenüberstand, das aus Immigranten aus Süd- und Osteuropa (als Prototyp des Osteuropäers galten die Juden) zusammengesetzt war.

Lang konnten sich so verstaubte Theorien im akademischen Leben freilich nicht halten. Neben wachsendem intellektuellem Widerstand auch aus biologischen Gründen: Mit Menghin starb 1973 einer der einflussreichsten ehemaligen "Hakenkreuz-Professoren" im Alter von 95 Jahren in Buenos Aires. (APA)