Washington - Wegen gravierender Verstöße gegen die Genfer Konventionen hat ein US-Bundesgericht erstmals einen Sonderprozess gegen einen Guantánamo-Häftling als ungesetzlich bezeichnet und gestoppt. Der US-Bundesrichter James Robertson verlangte am Montag in Washington, dass zuerst der Gefangenenstatus des 34-jährigen Jemeniten Salim Ahmed Hamdan von einem kompetenten Tribunal überprüft werden müsse. Bis zu diesem Zeitpunkt müsse der ehemalige Fahrer von Terrordrahtzieher Osama bin Laden als Kriegsgefangener behandelt werden. Der Richter wies damit alle Anträge der Regierung zurück.

Zugleich entschied Richter Robertson gegen Hamdan, dass die Inhaftierung von so genannten "feindlichen Kämpfern" auf der US- Militärbasis Guantánamo-Bay nicht "an sich gesetzeswidrig" ist. Hamdan müsse solange unter den Schutz der Genfer Konvention gestellt werden, bis ein "kompetentes Gericht" feststelle, dass er entweder als Kriegsgefangener gelte - und dann ohnehin unter den Schutz der Konvention fiele - oder dass ihm dieser Status nicht zustehe, entschied Robertson. Bis dahin dürfe ihm wegen seiner mutmaßlichen Verbrechen nur vor einem regulären Militärgericht der Prozess gemacht werden.

"Energische" Proteste

Die US-Medien sprachen von einer schweren Niederlage für die Regierung von Präsident George W. Bush. Die Regierung protestierte "energisch" und kündigte Berufung gegen den Richterspruch an. Die Errichtung der umstrittenen Sondertribunale geht auf einen Erlass von US-Präsident George W. Bush zurück.

Menschenrechtsorganisationen begrüßten das Urteil und verlangten ein sofortiges Ende der Prozesse vor den Militärkommissionen. Das Urteil entkräfte den Versuch von Bush, "50 Jahre lange Fortschritte im internationalen Recht zu Gunsten von Internierung und durch die Exekutive ermächtige Verfahren bei Seite zu schieben", heißt es in einer Erklärung von Amnesty International. "Das Urteil sollte der letzte Sargnagel für die Militärkommissionen sein", heißt es bei Human Rights Watch. "Diese hätten niemals gebildet werden dürfen und ihre Ausführung sei zum Desaster geworden."

Richter Robertson verlangte in seinem Urteil, dass ein kompetentes Tribunal feststellt, ob es sich bei Hamdan um einen Kriegsgefangenen gemäß der Genfer Konventionen handelt. "Der Präsident ist kein Tribunal", sagte der Richter unter Anspielung auf die Entscheidung von Bush, dass die festgenommenen Al-Kaida-Mitglieder nicht als Kriegsgefangene behandelt werden.

Der Richter wies außerdem einen weiteren zentralen Argumentationspunkt der US-Regierung zurück, wonach Hamdan nicht im Konflikt zwischen den USA und Afghanistan, sondern in einem separaten Konflikt mit dem Terrornetzwerk ASl Kaida gefangen genommen worden sei. Als ungesetzlich bezeichnete der Richter die bisherige Verfahrensweise der Militärkommissionen, die Beweismittel gegen Hamdan zurückzuhalten und ihn von Sitzungen auszuschließen.

Damit stoppte erstmals ein US-Gericht eines von insgesamt 15 geplanten Verfahren gegen Guantánamo-Häftlinge. Zweieinhalb Jahre nach seiner Verhaftung im November 2001 hatte sich Hamdan gemeinsam mit drei weiteren Guantánamo-Häftlingen Ende August vor einer Militärkommission wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Beteiligung an Terroraktionen verantworten müssen. Der Jemenite bestritt jegliche Verstrickung in Terroranschläge und gab an, lediglich als Fahrer Bin Ladens seinen Lebensunterhalt verdient zu haben.

"New York Times": Bush-Regierung tritt Recht mit Füßen

Die "New York Times" (Online-Ausgabe) kritisiert im Zusammenhang mit dem Sonderprozess gegen den Guantanamo-Häftling und früheren Fahrer Osama bin Ladens, Salim Ahmed Hamdan, am Mittwoch die Politik der US-Regierung:

"Ein Verfahren vor der ersten amerikanischen Militärkommission seit dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Woche (...) von einem Bundesrichter gestoppt, der entschied, dass das Vorgehen selbst die Mindestvoraussetzungen eines gerechten Verfahren nicht erfüllt und die Genfer Konventionen verletzt. Es war die jüngste in einer ganzen Reihe von Gerichtsentscheidungen, die die Regierung von (Präsident George W.) Bush dafür zur Rechenschaft zog, dass sie im Namen des Anti-Terrorkampfes das Recht mit Füßen tritt. (...)

Die Bush-Regierung ist bekannt dafür, dass sie sich über Gesetze und die Abkommen, die von den USA unterzeichnet wurden, im Rahmen des so genannten Kriegs gegen den Terror hinwegsetzt. (...) Es ist noch zu früh zu sagen, ob ein Justizministerium ohne (den noch amtierenden Minister John) Ashcroft diese Angelegenheiten anders sieht. Bisher erklärt die Regierung, dass sie gegen die Entscheidung dieser Woche Berufung einlegen will (...). Die Regierung sollte die Berufung fallen lassen und sich stattdessen darauf konzentrieren, ihre fehlerhafte Politik zu verbessern." (APA/dpa)