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Carl Djerassi gastierte in Wien.
Foto: APA/Schering/Kühnelt
Wien - Carl Djerassi, Chemiker an der Universität Stanford und Romanautor, entwickelte die Pille vor dem Hintergrund einer Bevölkerungsexplosion in den Fünfzigerjahren. Die unvorhergesehene Konsequenz: "Es gibt weniger Kinder, weil Frauen arbeiten. Viele wollen nicht wählen, sie verschieben daher das Kinderkriegen", sagte der 1938 vor den Nazis aus Wien geflüchtete Wissenschafter im Rahmen einer Wiener Veranstaltungsreihe zum Ignaz-Lieben-Projekt der Akademie der Wissenschaften zum STANDARD.

Die Antibabypille allerdings für den Geburtenrückgang verantwortlich zu machen hält ihr Erfinder für "totalen Unsinn": "Der Wunsch zu arbeiten hat doch nicht allein mit der Pille zu tun. Gäbe es sie nicht, dann gäbe es einfach mehr Abtreibungen."

Pille als Risikofaktor

Derzeit sucht Djerassi nach Lösungen für die Zukunft: "Bei Frauen ab 39, 40 Jahren ist das Risiko eines Kindes mit Down-Syndrom sechsmal so hoch wie bei Jüngeren. Wäre es da nicht vernünftig, im Alter von 25 seine Eier einzufrieren, um später Kinder zu haben - risikofrei?" Als Verhütungsmittel der Zukunft stellt er sich Folgendes vor: "33 Prozent der US-Bürger, die bereits Kinder haben, lassen sich sterilisieren. Was spricht dagegen, seine Eier oder Spermien früh einzufrieren, um später Kinder zu bekommen, und sich mit 30 sterilisieren zu lassen?" Mit solchen Thesen will der Autor die Naturwissenschaften einem breiten Publikum vermitteln. Wobei ForscherInnen die falsche Adresse für Antworten seien. Grundlagenforschung hätte keine ethische Dimension, sagt Djerassi: "Ich will nur die richtigen Fragen stellen."

Ein Bühnenstück

Kann man die Karten zinken, was das Geschlecht seiner Nachkommen betrifft? Was folgt, wenn es mehr Buben gibt als Mädchen? Darum geht es in Djerassis pädagogischem Bühnenstück "ICSI - Sex im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit". ICSI ist eine Methode, die Unfruchtbarkeit des Mannes zu behandeln. Das "Wortgefecht für zwei Personen" ist ein wissenschaftliches Theater für das Klassenzimmer, geeignet als Unterrichtsmittel. Wissenschaftliche Inhalte und die Einstellung der Naturwissenschafter werden dabei plausibel dargestellt. "ICSI" bildete Montagabend den Auftrakt zum Lieben-Symposion, das sich mit Mäzenatentum und naturwissenschaftlicher Forschung in Österreich befasst.

Lieben-Preis verliehen

Wie DER STANDARD berichtete, wurde Dienstag erstmals seit 1938 der mit 14.000 Euro dotierte Lieben-Preis verliehen - dem Neurophysiologen Zoltán Nusser. Der Preis wurde 1863 vom jüdischen Bankier Ignaz Lieben "für das allgemeine Beste" an Nachwuchsforschung eingerichtet. Das Jüdische Museum Wien zeigt nun die Ausstellung "Die Liebens: 150 Jahre Geschichte einer Wiener Familie". (DER STANDARD, Printausgabe 10.11.2004)