München/Wien - Der österreichische Sozialhistoriker Michael Mitterauer (67), emeritierter Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien, wurde Freitag Abend in München mit dem "Preis des Historischen Kollegs" ausgezeichnet. Verliehen wurde der mit 30.000 Euro dotierte "Deutsche Historikerpreis", wie die Auszeichnung auch genannt wird, vom deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler. Mitterauer wurde für sein Buch "Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs" und für sein Lebenswerk geehrt.

Laudatio

Als "Synthese seines bisherigen Lebenswerkes" bezeichnete der Frankfurter Historikers Johannes Fried in seiner Laudatio Mitterauers Buch "Warum Europa?". Es dürfe als ein gewichtiger Beitrag zu einer Geschichte der Globalisierung gelten. Mitterauer identifiziere und analysiere eine Reihe von Umständen, die Europa groß gemacht haben, wie unterschiedliche Nahrungsmittel, Familienstrukturen und Herrschaftsorganisationen, und gewinne aus ihrem globalen Vergleich Einsichten in die unterschiedliche kulturelle und zivilisatorische Dynamik.

Durch den weltweiten Vergleich zwischen Europa, China, dem muslimischen Orient und Byzanz decke er weit in die Vergangenheit zurückreichende Grundlagen der Globalisierung auf, so Fried laut vorab verbreiteter Würdigung. "Mitterauers Buch lehrt soziale und kulturelle Zusammenhänge und Dynamik zu sehen, die, obgleich vom Mittelalter geformt, noch immer wirksam sind, illustriert auch, wie segmentärer Fortschritt auf Dauer Rückschritt im Ganzen zeitigen kann, und wie dadurch kulturelle Differenzen, gar ökonomische Schwäche oder politische Konflikte bedingt sind."

Öffnung der Geschichtswissenschaft

In seinem Festvortrag schloss Mitterauer an sein ausgezeichnetes Buch an und plädierte für eine Öffnung der Geschichtswissenschaft über Europa hinaus zu einer vergleichenden Globalgeschichte. Eine solche "Europäische Geschichte in globalem Kontext" sollte den Bezug zur Gegenwart herstellen und Verständnis für außereuropäische Kulturen wecken. Als Gegenposition zu einer derartigen Neuorientierung sieht er eurozentristische Konzepte der Geschichtswissenschaft, die durch den europäischen Einigungsprozess starken politischen Auftrieb bekommen hätten.

"Eurozentrismus und Ethnozentrismus liegen in ihrer Zugangsweise zur Vergangenheit nicht weit auseinander. Beide stellen die eigenen Großgruppe in den Mittelpunkt", so Mitterauer. In einer Europa-Rhetorik, die sich auf die Vergangenheit berufe, und die durch sie betriebene Identitätspolitik sieht Mitterauer gerade in der Vermittlung von historischem Wissen in den Schulen und in einer breiteren Öffentlichkeit eine Gefahr.

Hintergrund

Der Deutsche Historikerpreis wird seit 1983 von der "Stiftung Historisches Kolleg" mit Sitz in München vergeben. Gewürdigt wird damit das wissenschaftliche Gesamtschaffen eines Historikers. Die Grundlage des alle drei Jahre verliehenen Preises bildet ein inhaltlich und sprachlich herausragendes Werk, das wissenschaftliches Neuland erschließt.

Frühere Preisträger waren unter anderem Historiker wie Arno Borst (1986), Reinhart Koselleck (1989), Thomas Nipperdey (1992), Johannes Fried (1995) oder Jan Assmann (1998). (APA)