Foto: Süddeutsche Bibliothek
Carson McCullers nutzte die "zügellose Glut" des Südens für ihre Geschichten von der amerikanischen Einsamkeit und Langsamkeit. Sie wurde 1917 als Tochter eines Juweliers geboren. Columbus im Staat Georgia blieb, auch wenn sie die meiste Zeit ihres Lebens in Nyack bei New York verbrachte, ihre literarische Landschaft. Eigentlich sollte Carson Pianistin werden. Aber sie versetzte im Geschäft ihres Vaters das Erbstück der Großmutter, bestieg in Savannah ein Schiff, fuhr nach New York, belegte an der Columbia University einen Kurs in "Creative Writing" und beteiligte sich 1938 an einem Romanwettbewerb. Zwei Jahre später erschien ihr Debütroman "Das Herz ist ein einsamer Jäger".

Carson McCullers war eine leidenschaftliche Leserin, sie schwärmte für Dostojewski und für Bücher, die "klein und exakt sind, wie Vermeer". Ihr eigenes Leben war durchzogen von schweren und schwersten Krankheiten. Auf gesundheitliche und psychische Zusammenbrüche folgten Phasen äußerster Produktivität und organisatorischer Tüchtigkeit. Sie starb am 29. September 1967, mit fünfzig Jahren.

Mit ihrem Debüt "Das Herz ist ein einsamer Jäger" wurde Carson McCullers berühmt. Es lag am Tonfall, in dem der Singsang des Südens mitschwingt, und an ihrem unvergleichlichen Talent, die Verrücktheiten des alltäglichen Lebens als ein Hin und Her zwischen Freude, Melancholie und Selbstüberwindung in einfacher, eindringlicher Sprache darzustellen. Aber das Wichtigste: Carson McCullers wurde zur Schriftstellerin der Freundschaft; Freundschaft und Vertrauen stehen im Mittelpunkt all ihrer Bücher.

In "Das Herz ist ein einsamer Jäger" zeigen die beiden Taubstummen Singer und Antonapoulos, was bedingungslose Zuneigung bedeutet. Nach der Einlieferung seines Freundes in eine Anstalt bleibt Singer allein, seine Einsamkeit und Sprachlosigkeit beunruhigt und quält die Menschen seiner Umgebung.

Carson McCullers weiß, wie sich Spannung, Neugier und Gewalt auf die Menschen auswirken. Singer stellt durch seine Sprachlosigkeit die großen Fragen, die pubertierende Mick will in dem Jahr, in dem aus ihr eine junge Frau wird, wissen: Wer bin ich? Was ist Liebe und gibt es sie überhaupt?

Sie stellen die Fragen an sich selbst, denn Gott und die "heilige Muttergottes" antworten nicht. Singer stirbt, hinterlässt sein Geheimnis und Schulden, Mick hat ihre spröde Kindlichkeit verloren und zieht den Rocksaum über die Knie. (DER STANDARD, Printausgabe, 13./14.11.2004)