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Im Rahmen des John-Cage-Schwerpunkts bei Wien Modern zeigt das Tanzquartier Wien die Uraufführung einer Hommage durch einen Meister der Choreografie: Jérôme Bel. Der Künstler sprach mit Helmut Ploebst über "John Cage. A Project by Jérôme Bel".

Wien – Jérôme Bel verdreht die Augen: "Das destabilisiert mich!" Der Choreograf steht vor der dritten Herbstpremiere: Im September wurde Véronique Doisneau an der Pariser Oper uraufgeführt, im Oktober The Show Must Go On 2 am Brüsseler Kaaitheater, und ab 19. November stellt er im Museumsquartier, Halle E, John Cage. A Project by Jérôme Bel vor. US-Komponist Cage (1912-1992) ist wegen seiner Zusammenarbeit mit Merce Cunningham ein Säulenheiliger der zeitgenössischen Choreografie.

STANDARD: Was an John Cages Werk brennt Ihnen unter den Nägeln?

Bel: Es enthält ein politisches Statement: Wer hat die Macht – der Musiker, das Publikum, wer sonst? Dort, wo ich in der Kunst zu Hause bin, sind die Fragen nach der Kunst als Politik oder dem Verhältnis zwischen dem Politischen und der Kunst Hauptthemen. Cage versuchte beispielsweise, eine Gleichwertigkeit zwischen Partitur und Gesellschaftsorganisation zu finden und die Abhängigkeit des Orchesters vom Dirigenten aufzuheben. Ähnliche Ziele hatte ja auch die "Contact Improvisation" der 70er-Jahre im Tanz.

STANDARD: Sie waren also schon vor diesem Projekt an den Machtverhältnissen in der Kunst interessiert?

Bel: Das ist eine meiner Obsessionen: die Macht des Besonderen, das Verhältnis der Künstler zum Publikum oder die Frage nach dem Medium – also die Macht der Repräsentation und die Entfremdung, die sie produzieren kann. Ich will wissen: Wie kann man überhaupt Aufführungen bewerkstelligen, ohne ideologische Dummheiten zu produzieren?

STANDARD: Sind Sie hier bei Roland Barthes' Idee vom Tod des Autors zugunsten der Geburt eines kreativen Publikums?

Bel: Auf jeden Fall. Einige der Partituren, die ich in meinem Cage-Projekt verwende, sprechen genau das an.

STANDARD: Spielt dieses Stück eine besondere Rolle in Ihrem bisherigen Werk?

Bel: Es ist die erste Arbeit, die ich nicht selbst schreibe. Ich bin nicht der Autor. Hier geht es nicht um ein Jérôme-Bel-Stück, sondern um das Material von John Cage. Dem muss ich mich anpassen.

STANDARD: Das eigentliche Stück entsteht jetzt innerhalb von zehn Tagen in Wien. Was war die schwierigste Phase während der Vorbereitungen?

Bel: Als ich dachte: Was mache ich da? Ich sollte Cage doch Respekt zollen! Um herausfinden, ob ich in seinem Sinn handle, bin ich nach New York geflogen. Dort habe ich mit Merce Cunningham geredet. Er sagte zu mir: "Aber bitte, mach doch, was immer du willst!" Und alle vom John Cage Trust sagten das Gleiche – normalerweise sperren Nachlassverwalter ja alles weg. Aber diese Leute folgen wirklich Cages Philosophie von Offenheit und Freiheit. Erst dann wurde mir klar, zack, okay – ich bin frei und Cages Werk ist ein Werkzeug.

STANDARD: Ein Werkzeug?

Bel: Ich will Werkzeuge dafür finden, das heutige Leben zu verstehen. Für mich ist Cage ein solches Werkzeug, und ich möchte wissen, wie es wirkt.

STANDARD: Hat die Philosophie dieses Komponisten Sie dazu gebracht, ein Projekt über ihn zu machen?

Bel: Auf jeden Fall. Als ich im Frühjahr dazu eingeladen wurde, war mir Cage seit 20 Jahren vertraut. Ich musste keine Recherche mehr anstellen. Ich habe Cage 1984 durch Cunningham in Angers kennen gelernt, als ich dort studierte. Er war da, um die Musik zu machen – wie üblich immer erst fünf Minuten vor Aufführungsbeginn.

STANDARD: Cage hat ja keine "Tanzmusik" gemacht.

Bel: Ich wurde kürzlich gefragt: "Wie viel Tanz ist in dem Stück?", und ich sagte: "He, ich bin nicht Cunningham!" Also: Es gibt keinen Tanz in dem Stück. Aber Cages Analysen und Methoden interessieren mich sehr. Ich habe versucht, an die Grenzen des Tanzes zu gehen, und das ist der Körper. Er ging an die Grenzen der Musik – die Stille.

STANDARD: Nächstes Jahr wollen Sie auch einen Text von Cage auf die Bühne bringen?

Bel: Seinen wunderbaren Vortrag über nichts. Wenn ich es schaffe, meine Interpretation von Cage mit einem Publikum zu teilen – wenn diese Interpretation nützlich ist und eine Intensität für uns ergibt. Ich habe etwas ausgesucht, das mich sehr interessiert. Und das versuche ich, 40 Jahre, nachdem einige dieser Stücke entstanden sind, zu artikulieren. Mit der Vergangenheit, mit allem, was Cage geschrieben hat und was über ihn geschrieben wurde. Bis vor einigen Jahren waren wir wirklich noch Post-68er, die das Scheitern dieser Utopie zu tragen hatten. Aber wir wollen immer noch . . . Ach was, wir können diese Utopie immer noch verwenden, weil sie so großartig war!

STANDARD: Ist Ihre Performance auch eine Utopie?

Bel: Ich spreche immer mehr davon, dass eine Performance keine Schöpfung ist, sondern ein Plan, um etwas anderes zu kreieren. Sie ist ein Plan, der einige Energie produziert, damit etwas anderes geschehen kann.

Zur Person:

Jérôme Bel, 1965 geboren, tanzte acht Jahre lang bei diversen französischen Compagnien, bevor er 1992 als Assistent von Philippe Decouflé das Eröffnungsspektakel der Olympiade in Albertville mitchoreografierte. In der Folge entstanden "Nom donné par l'auteur" (1994) und "Jérôme Bel" (1995), die ihn europaweit bekannt machten. Heiß umstritten und hoch gelobt waren auch seine weiteren Arbeiten, etwa "The Show Must Go On!" (2000). Bel gilt heute als einer der bedeutendsten Initiatoren der konzeptuellen Choreografie. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13./14. 11. 2004)