Eberhard Straub
Vom Nichtstun.
Leben in einer Welt ohne Arbeit.
€ 16,50/136 Seiten.
wjs Verlag, Berlin 2004.

Foto: buchcover
Cito! Cito", schnell schnell. Das fügte im 18. Jahrhundert der preußische König Friedrich Wil- helm I. jedem Befehl hinzu. Schnell mussten sie umgesetzt werden, Zeit durfte keine verloren gehen. Schon damals galt: Zeit ist Geld. Kapital war zu akkumulieren, sorgsam und vernünftig zu verwalten. Wichtig dabei waren Askese und Verzicht. Diese bildeten die Basis für weitere Akkumulation und weitere Beschleunigung. Das Bewusstsein der Menschen kam da nicht mehr mit. Zur Ruhe kamen sie kaum noch, wurde doch Reichtum vom Protestantismus zudem noch transzendent überhöht als gottgefälliges Auserwähltsein.

Ein gutes Beispiel moralischer Zeitökonomie ist das Tagebuch Benjamin Franklins, eines der Väter der Amerikanischen Revolution. Keine Lücken im Tagesablauf duldend, stets rastlos tätig, war dieses Diarium Beleg einer protestantischen Arbeitsethik, lange bevor die Wissenschaft diese für sich entdeckte und entsprechend benannte.

Merkwürdigerweise erwähnt dieses Journal der deutsche Historiker Eberhard Straub an keiner Stelle in seinem langen Essay über das Nichtstun. Darin widmet er sich Zeit und Muße, Bildung und Arbeit, Menschenvernichtung und Seelenschönheit. Ein aktueller Beitrag zur Debatte um Arbeitszeiten also oder um die psychischen Bedrängnisse Arbeitsloser und die Krankheitssymptome von Workaholics? Nicht im Entferntesten. Wer heute Zeit hat oder sich Zeit lässt, gilt als faul, wird misstrauisch beäugt, hie und da sogar als Sozialparasit diffamiert. Keine Zeit zu haben, adelt. Ein übervoller Terminkalender signalisiert Fleiß, unterstreicht die eigene Wichtigkeit. Atemlosigkeit ist das Signum des neuen Arbeitsadels. "Wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten und zählen Stunde und Monde nur noch nach der Blumenuhr, nur nach Blüte und Frucht", hieß es als Aussteiger-Wunsch schon in Leonce und Lena. In den Mund legte Georg Büchner dies Valerio - dem Narren.

Dies war nicht immer so. Freie Zeit und Muße waren einst das Privileg des echten Adels. Dieser vertrieb sich nicht die Zeit mit inhaltsleeren Tätigkeiten, sondern, meint jedenfalls Straub und entpuppt sich als recht nostalgischer Reduktionist, dieser Geistesadel strebte nach humanistischer Vervollkommnung, nach einer Abrundung des Ichs. Nötig dafür war Muße, war Zeit zum Lesen, Denken und eleganten Parlieren. Und Talleyrand, einst Außenminister unter Napoleon und Louis Philippe, soll einmal, irritiert vom allgemeinen Eifer, der seine Zeitgenossen erfasst hatte, vorgeschlagen haben, am französischen Außenministerium am Quai d'Orsay die Inschrift anbringen zu lassen: "Nur kein Fleiß".

"Was ist der Nutzen des Nutzens?", fragte Lessing. Und diese Frage stellt auch Eberhard Straub in seiner kleinen Kulturkritik, in der er durch die europäische Geschichte promeniert, von der Antike über Mittelalter und Manchesterkapitalismus bis zur Gegenwart, zur Arbeitsgesellschaft ohne Arbeit. Straub entwirft ein Panorama der Knechtung und Knebelung des Menschen, der Unterdrückung seines Werts durch entfremdete Arbeit. Einige Überraschungen hält er parat. Denn wer weiß schon, dass es seit dem 13. Jahrhundert pro Jahr zwischen 85 und 100 Feiertagen in Europa gab? Dies änderte sich erst im 19. Jahrhundert mit der Mechanisierung und Europäisierung der Wirtschaft. Menschenbildung wurde Luxus, die Ausbeutung des Menschenmaterials war alles. "Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Probleme", zitiert Straub zustimmend Karl Marx.

Elend und Verwirrung, so Theresa von Avila, kämen daher, dass wir uns selbst nicht verstünden und nicht wissen würden, wer wir seien. Muße, Freizeit und Bildung also als Dreiheit der Persönlichkeitsentfaltung, die der Kapitalismus, so wie er unverändert ist, verhindert. Mag man auch einzelnen Befunden dieses eine gewisse Traditionsvergessenheit mit Recht anprangernden Buches zustimmen, insgesamt erweist sich dieses plakative Plädoyer als verdrießlich, ja müßig, weil es die drängenden Fragen der Lebenswelt literarisiert. Moderne Erwerbsgesellschaften und ihre Institutionen sind weitaus komplexer als Straub meint. Und ist eine klassische Bildung nicht doch vielleicht überlebt, historisch vielleicht auch diskreditiert? Eberhard Straub trägt dazu einiges selbst bei, denn es ist schon erstaunlich, auf wie wenig Seiten man so viele Namen falsch schreiben kann. War da etwa zu wenig Muße im Spiel? (Alexander Kluy, DER STANDARD, Printausgabe, ALBUM, vom 13./14.11.2004)