Wien - Die Vorfahren der Menschen sind weiter herumgekommen, als bisher angenommen. Ein internationales Forscherteam um Horst Seidler vom Institut für Anthropologie der Universität Wien hat erstmals über vier Millionen Jahre alte Fossilien auch in Äthiopien entdeckt.

Das äthiopische Afar-Dreieck ist einer der heißesten Orte für Anthropologen, mit sensationellen Funden der frühen Menschen und menschlichen Vorfahren. Am bekanntesten ist das 3,2 Millionen Jahre alte, fast komplett erhaltene Skelett eines Australopithecus afarensis ("Lucy"). Mit kompletten Skeletten können die Wiener Forscher zwar noch nicht aufwarten. Jedoch sind unter den Stücken, die sich in ihren Sieben fanden, auch Überreste des Australopithecus anamensis - Vorfahren von "Lucy", die bisher nur in Kenia gefunden worden seien. Damit schließe sich "eine zeitliche und räumliche Lücke im Wissen um die Menschheit", betonte Seidler am Freitag in Wien. Das Fundgebiet im 100 Quadratkilometer großen Areal namens Galili liege "genau zwischen zwei anderen Gebieten mit ähnlichen Funden". Womöglich gab es also gar keine Wanderung der frühen Hominiden, wie bisher angenommen wurde.

Die Australopithecus-Arten gelten als unmittelbare Vorfahren des Menschen. Ihr Gehirn war vergleichsweise klein und dem von Affen ähnlich, jedoch gingen sie bereits vor etwa fünf Millionen Jahren aufrecht. Vor zwei bis drei Millionen Jahren entwickelte sich aus einer Australopithecus-Art - welche, ist noch umstritten - die Gattung Homo.

Paläonthologische Untersuchungen der Tierwelt von Galili legen nahe, dass manche der Fundstücke sogar 4,1 bis 4,5 Millionen Jahre alt sein könnten. "Elefantenzähne zum Beispiel haben eine Evolution durchgemacht, die wir auf etwa 100.000 Jahre genau datieren können", erklärte Otmar Kullmer vom Forschungsteam. Direkt ließen sich die Australopithecus-Arten kaum untersuchen. Denn "erstens haben wir zu wenige, und zweitens haben sie eine langsamere Evolution durchgemacht: Der Australopithecus anamensis hatte ähnliche Zähne wie der heutige Mensch."

Von österreichischer Seite sei das Team seit Beginn seiner Arbeit 2001 mit rund 150.000 Euro unterstützt worden, erklärte Seidler. Am Freitag unterzeichneten Bildungsministerin Elisabeth Gehrer und der äthiopische Minister für Bildung und Wissenschaft, Wondossen Kiflu, ein "Memorandum of Understanding" für eine weitere Zusammenarbeit für mindestens drei Jahre. Die Funde werden in Österreich untersucht und danach im Nationalmuseum in Addis Abeba zu besichtigen sein. (east/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13./14. 11. 2004)