Erich Müller: Wenn wir hinausgehen, müssen wir erst die Teststrecke präparieren, den Parcour ausstecken und an verschiedenen Standorten eine größere Anzahl von Kameras aufstellen, die untereinander synchronisiert sind. Gleichzeitig wird der dreidimensionale Raum, in dem gefahren wird, mit einem geodätischen System wie bei der Landschaftsvermessung ausgelotet. Dann präparieren wir die Versuchsperson mit Markern, die später am Computer rekonstruiert werden können. Gleichzeitig bekommt der Testfahrer im Bereich der Bindung und in die Skischuhe Druckmesssohlen. Damit können die Bodenreaktionskräfte, die während des Fahrens wirken, gemessen werden. Und der Fahrer bekommt eine Elektrodenmyografie verpasst. Diese wird an den Muskeln, die während des Skifahrens hauptbelastet sind, fixiert. Daraus können wir dann ableiten, wann Ermüdung eintritt oder welche Muskeln in welcher Phase wie stark im Einsatz sind.
STANDARD: Und mit den Markern, die an der Testperson angebracht werden, entsteht die Dreidimensionalität des Körpers?
Müller: Ja, dafür ist es notwendig, die Gelenkspunkte der Person vom Kopf über die Schulter bis zu Ellbogen, Handgelenk, Hüfte und Kniegelenk mit Markern zu versehen. Die können wir dann am Computer erkennen und digitalisieren. Wir klicken die Positionen mit der Maus an und bekommen aufgrund eines bestimmten Berechnungsverfahrens die dreidimensionalen Koordinaten dieser anatomischen Kennpunkte. Und wir können dann mit einem komplexen mathematischen Modell die gesamte Person darstellen. Dadurch können wir beantworten, wie sich der Kniewinkelverlauf verändert, wie sich Schwerpunktverläufe gestalten oder mit welchen Geschwindigkeiten welche Gelenksbewegungen stattfinden.
STANDARD: Was leiten Sie aus diesen Ergebnissen ab?
Müller: Wir sehen, was physiologisch noch positiv ist und wo das Ganze zu einer Überbelastung wird. Also inwieweit neue Skisysteme positive oder negative Effekte haben können. Aber auch, welche Fahrtechniken physiologisch förderlich sind oder möglicherweise Langzeitschäden mit sich bringen können.
STANDARD: Wie fließen Ihre Ergebnisse in die Praxis ein, etwa bei der Entwicklung eines Skis?
Müller: Wir haben von Beginn an eine sehr enge Kooperation mit der Wirtschaft, wenn es darum geht, das Anforderungsprofil eines Skis zu erproben. Etwa die Frage "Wie soll der optimale Carvingski für eine 50-Jährige, nicht allzu fitte Freizeitskifahrerin aussehen?". Wir versuchen, möglichst genaue Informationen über die körperlichen Voraussetzungen der Person selbst zu geben sowie über deren Leistungsfähigkeiten. Dann leiten wir auf Basis der Daten, die wir bei der Feldmessung gewonnen haben, ab, welche mechanischen Eigenschaften der Ski haben sollte.
STANDARD: Gibt es wirklich solche Unterschiede, dass man irgendwann sagen wird: Wenn ich 30 bin, nehme ich diesen Ski, und wenn ich 40 bin und ein Bandscheibenleiden habe, greife ich besser zu jenem?
Müller: Das wird die Zukunft des Skilaufs sein. Der Komfort und die Belastungsverträglichkeit des Skifahrens werden im Vordergrund stehen. Und man wird die Produkte sehr zielgruppenspezifisch auf den Markt bringen müssen. Geschlecht, Alter, körperliche Leistungsfähigkeit und Fahrkönnen sind die Kriterien, anhand derer die Pro- dukte differenziert angeboten werden. Das ist ein Service an die Konsumenten, dass sie wirklich Produkte haben, die speziell auf sie abgestimmt sind.
Müller: Natürlich. Die Frage "Wie groß sind die Kräfte, die einen Skifahrer angreifen und möglicherweise Spätschäden verursachen" hängt davon ab, welchen Schwungradius ich fahre, mit welcher Geschwindigkeit ich diesen fahre und welche Körpermasse ich mitbringe. Wer sich nicht stark belasten möchte, sollte Schwünge mit großem Radius in gerutschter Form fahren.
STANDARD: Wie lange dauert es, bis Sie nach Absolvierung der Testperiode zu konkreten Ergebnissen kommen?