Rund 100.000 streikende Lehrer zogen am Montag durchs verregnete Rom. Ihre Sprechchöre wird Premier Silvio Berlusconi bis in seinen Wohnsitz im Palazzo Grazioli gehört haben. Doch Italiens Regierungschef hat derzeit andere Sorgen. Nach dem Scheitern der lang und breit versprochenen Steuersenkungen wähnt sich der Ministerpräsident allenthalben von Feinden umgeben.

Während die Koalitionspartner den parteilosen Wirtschaftsminister Domenico Siniscalco täglich mit neuen Abänderungsanträgen zum Haushalt nerven, wirkt Berlusconi völlig gelähmt. Doch auf den Premierminister kommen jetzt schwierige Wochen zu. Denn der Marsch der Lehrer durch Italiens Hauptstadt war nur der Auftakt zu einer beispiellosen Streikwelle, die erheblichen sozialen Zündstoff in sich birgt.

Mit 30 Streiks in 40 Tagen äußern Richter und Busfahrer, Anwälte und Müllkutscher, Piloten und Musiker ihren Unmut über die Regierung Silvio Berlusconis. Am 30. November soll ein Generalstreik ganz Italien lähmen.

Die Regierung scheint das nicht weiter zu irritieren. Wie seit eh und je wird munter um Pfründe und Posten gefeilscht, fordern Nationale Allianz und Christdemokraten mehr Geld für den Süden und für das Heer ihrer Klientel im öffentlichen Dienst. Die Führer der Lega Nord dagegen drohen einmal mehr mit Regierungskrise.

Italiens Kommentatoren rätseln unterdessen über die Gründe für Silvio Berlusconis offensichtliche Handlungsunfähigkeit. Die römische Zeitung Il Messaggero wähnt die Regierung "im Zustand des Komas". Berlusconis einziger Ausweg aus dem Dilemma wäre eine rasche Umbildung seiner zerstrittenen Regierungsmannschaft. Die lehnt der Premier ab, weil sie dem Eingeständnis eines Scheitern gleichkäme. Offenbar scheitert Berlusconi lieber mit seiner alten Mannschaft. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.11.2004)