Diese Neuerung in der Priesterausbildung ist für die 42-Jährige kein Bruch. Sie hat jedenfalls festgestellt, dass die mit dem neuen Amt einhergehende ständige Anwesenheit einer Frau im Haus für einige Seminaristen etwas Neues sei. Aber die Berufung einer Frau in die Leitungsfunktion sieht sie in kirchlicher Tradition: "Ein Schritt auf dem Weg hin zur Selbstverständlichkeit."
Brigitte Proksch wurde im August als Beraterin in den päpstlichen Migrationsrat berufen. Im Sinne des "Aggiornamento" sieht sie große Bewährungsproben für die katholische Kirche des 21. Jahrhunderts. "Der interreligiöse Dialog ist eine große Herausforderung. Das Miteinander mit den anderen Religionen steht in der katholischen Kirche erst am Anfang", sagt sie und erinnert daran, dass das entsprechende, "aktuelle", Konzilsdokument "Nostra Aetate" bereits vor 40 Jahren verabschiedet worden ist.
Die Beziehungen zu den altorientalischen Kirchen sind seit Langem einer ihrer Arbeitsschwerpunkte. Im Studienförderprogramm der Erzdiözese Wien hat sie sich intensiv um die Zusammenarbeit mit Priestern aus Afrika, Asien und Lateinamerika gekümmert und am Afro-Asiatischen Institut gearbeitet. Nun im Canisianum, dem einzigen internationalen Priesterseminar in Österreich, ist diese interkulturelle Erfahrung gefragt: die 55 Studenten kommen aus 20 Staaten, zwei Drittel von außerhalb Europas. Vier der Seminaristen können sich gar für ein Priesterleben als Ehemänner entscheiden: Sie gehören dem ukrainisch-katholischen Ritus an, der den Pflichtzölibat nicht kennt.
Private Lebensinhalte über sich will sie nicht preisgeben. Der Blick in Diözesen außerhalb Europas führt Proksch zur Relativierung von "Gewissheiten": Einen Priestermangel nimmt sie in erster Linie anderswo wahr. In Wien gebe es gut 600 aktive Priester für 700.000 Katholiken, in Homa Bay in Kenia stünden nur 30 Priester für 370.000 Gläubige zur Verfügung.