Warschau - Warschaus Oberbürgermeister Lech Kaczynski hat die Schäden der Stadt im Zweiten Weltkrieg mit 45,3 Milliarden Dollar beziffert. Zwei Milliarden Dollar davon beträfen die Schäden an kommunalem Eigentum. Dies gehe aus einer Expertise hervor, die im Auftrag der Stadt Warschau angefertigt worden sei, erklärte Kaczynski am gestrigen Montag. Eine Entschädigung von Deutschland wolle er einstweilen jedoch nicht verlangen, so der Oberbürgermeister. Er werde die vorgelegte Berechnung erst dann verwenden, wenn Deutsche gegenüber Polen auf der Entschädigung von verlorenem Eigentum bestünden.

Die 300 Seiten starke Expertise basiert einerseits auf der Erfassung von zerstörten Gebäuden und Fabriken, andererseits wurde eine Befragung herangezogen, die das kommunistische Polen nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Stadtbevölkerung durchführte. 60.000 Warschauer füllten damals einen Fragebogen aus, in dem sie ihre persönlichen Verluste angaben. Die Expertise listet deshalb auch private Kunstgegenstände, Kraftfahrzeuge, Kühe und sogar Fahrräder auf. Allein das zerstörte Große Theater (Teatr Wielki) wird mit einem Wert von 84 Mio. Dollar beziffert. Der Wiederaufbau des Präsidentenpalastes habe nach heutigen Preisen 7,4 Mio. Dollar gekostet. "Diese Zahlen sind sehr niedrig angesetzt", sagte Kaczynski.

"Nicht wir haben diesen Krieg begonnen"

Trotz seiner Beteuerung, die Expertise nur im Falle deutscher Forderungen zu verwenden, richtete Kaczynski deutliche Worte an Deutschland. Es handle sich bei der Untersuchung "nicht um ein Element in einem Spiel", sagte er. Indirekt warf er Deutschland vor, die Geschichte umschreiben zu wollen. "Bald wollen sie, dass wir zugeben, wir hätten den Krieg zusammen mit ihnen begonnen", sagte Kaczynski und fügte hinzu: "Zum hundersten, zum tausendsten Mal wiederhole ich: Nicht wir haben diesen Krieg begonnen."

Kaczynski zufolge tobe derzeit ein "Nervenkrieg" zwischen Polen einerseits und dem Bund der Vertriebenen (BdV) zusammen mit dem Verein "Preußische Treuhand" andererseits. Während die Preußische Treuhand von Polen tatsächlich Entschädigung für das verlorene Eigentum vertriebener Deutscher fordert, will der BdV diese Forderungen an den deutschen Staat richten. Allerdings stieß das Projekt des BdV, in Berlin ein Museum für Vertreibung zu errichten, in Polen auf breite Ablehnung.

Die polnische Regierung reagierte bisher nicht auf die Expertise des Warschauer Oberbürgermeisters. Sie hatte sich im September geweigert, einen Beschluss des Parlamentes umzusetzen. Der Sejm hatte gefordert, die Regierung solle Reparationsforderungen an Deutschland richten. Zu Wort meldete sich lediglich der Abgeordnete der Regierungspartei SLD (Bündnis der demokratischen Linken), Tadeusz Iwinski. Er verwies auf die gemeinsame Erklärung vom deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Polens Ministerpräsident Marek Belka vom September. Dieser Erklärung zufolge könne keine der beiden Seiten Forderungen geltend machen. Eine deutsch-polnische Juristen-Kommission solle berufen werden, um Ansprüchen von deutschen Vertriebenen entgegenzuwirken. (APA)