So kreativ waren die Finanzminister selten. Die EU-Kommission gab den Startschuss dafür, dass die engen Defizitgrenzen des Stabilitätspakts gelockert werden – und die Finanzminister überboten sich am Dienstag in Brüssel mit Vorschlägen, welche Ausgaben denn künftig nicht mehr fürs Defizit zählen sollen.

Frankreich etwa will Forschungsausgaben aus dem Defizit herausrechnen. Begründung: Solche Ausgaben förderten das Wachstum. Großbritannien wiederum möchte, dass Investitionen in die Infrastruktur gesondert gezählt werden. Und Deutschland, das seit drei Jahren die Defizitgrenze von drei Prozent überschreitet, verlangt, dass EU-Beiträge nicht zählen. Finanzminister Hans Eichel begründet das so: "Die Mittel, die Nettoempfänger aus Brüssel bekommen, sind defizitmindernd. Aber die Mittel, die Nettozahler wie Deutschland nach Brüssel überweisen, sind defiziterhöhend. Das ist nicht gerecht." Selbst wenn der Vorschlag beschlossen würde, wäre Deutschland aber nicht von der Liste der Defizitsünder gestrichen: Sein Defizit beträgt heuer 3,9 Prozent – und der EU-Nettobeitrag 0,36 Prozent.

Schuldenlast soll stärker berücksichtigt werden

Österreichs Finanzminister Karl-Heinz Grasser will verhindern, dass die kreativen Vorschläge zur Defizitminderung Realität werden: "Wenn man darauf eingeht, gibt es zum Schluss keine Staatsausgaben mehr", wehrte er sich gegen das "Öffnen der Büchse der Pandora". Und stellte sich damit nicht nur gegen den Großteil seiner Finanzministerkollegen, sondern auch gegen Kanzler Wolfgang Schüssel, der sich vorstellen kann, dass Forschungsausgaben nicht defizitrelevant sind.

Nur in einem Punkt war sich Grasser mit den meisten Kollegen einig: Künftig soll die Schuldenlast stärker berücksichtigt werden. Staaten mit geringer Schuldnerquote sollen ein größeres Defizit machen können als Staaten mit hoher Schuldnerquote.

Bis zum Frühjahr wollen die Finanzminister das Kunststück schaffen, die unterschiedlichen Ideen zur Reform des Stabilitätspakts unter einen Hut zu bringen und einstimmig zu beschließen.

Einig waren sie sich nur bei Griechenland: Athen hat seit 1997 die Drei-Prozent-Regel verletzt und sich den Euro erschummelt. Den Ausschluss aus der Eurozone forderten die Finanzminister nicht – aber Sanktionen für die Manipulation, etwa Geldbußen. Zudem müsse die Kommission klären, wer schuld ist, dass die Defizittricks jahrelang unbemerkt blieben.

Wien ist nicht Athen

Griechenland sei ein ganz anderer Fall als Österreich, wehrte sich Grasser gegen Vorwürfe der Mogelei in Wien: Es habe zwar "Interpretationsfragen" zwischen EU und Wien über das für den Euro-Beitritt entscheidende Defizit 1997 gegeben – aber Österreichs Defizit betrug damals 1,8 Prozent, die EU stellte 0,25 Prozentpunkte infrage. Von der Drei-Prozent-Hürde sei Wien also weit entfernt gewesen, sagte Grasser. Zusatz: "Auch wenn ich damit SP-Regierungen in Schutz nehme." (Eva Linsinger aus Brüssel, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.11.2004)