Wien - Ein Prinz aus der Familie des letzten Kaisers von Vietnam ist heute Französischlehrer in Nizza. Als Achtjähriger musste er - mittlerweile heißt er René - vor Ho Chi Min flüchten. Joop wiederum, der in Indonesien geboren wurde und als Kind in einem japanischen Konzentrationslager war, lebt heute in Den Haag. Beide sind Europäer. Und ihre Geschichten sind Beispiele für ein Europa, das sich im Wandel befindet.

In allen europäischen Städten sieht man Gesichter aus der ganzen Welt. Viele dieser "Fremden" sind Staatsbürger der jeweiligen Länder, manche flüchteten nach Europa, manche wurden bereits hier geboren. Die Filmemacherin Ruth Beckermann hat unter dem Titel europamemoria 25 solcher europäischer Geschichten zu einer Laufbild-Ausstellung zusammengetragen. In einzelnen mehrminütigen Interviews, gedreht in extremen Close-ups, erzählen dabei die Menschen von ihrem Lebensweg. Das Projekt, realisiert im Rahmen von Graz 2003 - Kulturhauptstadt Europas, wird nun vom Mumok im Quartier 21 im Museumsquartier präsentiert.

In einzelnen Kabinen kann sich der Besucher die Geschichten dieser Menschen anhören, kann in ihre Gesichter sehen und entdeckt dabei ein Europa, das mit traditionalistischen Vorstellungen von regionalen Lebensentwürfen nichts mehr zu tun hat. Die Erinnerungen, die hier erzählt werden, lassen ein wesentlich vielschichtigeres Europa entstehen. Es sind andere Blicke, als sie offizielle Geschichtsschreibungen vermitteln

Europa und Migration

Europa wird hier vor allem auch als ein Produkt der Migrationsbewegungen des vorigen Jahrhunderts fassbar. Die stark personalisierte Präsentationsform der Erinnerungen vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus, Kommunismus oder Kolonialismus - Themen, die alle diese Lebensgeschichten immer latent mitbestimmt haben - zeigen die Vielseitigkeit dieses Kontinents und die Dynamik von Migration.

Einige der Geschichten führen im wahrsten Sinne des Wortes um die ganze Welt. Manche "nur" vom ehemaligen Ost- nach Westdeutschland. Manche der Geschichten sind tragisch, manche haben einen schmerzhaften Unterton, manche haben auch mit Lebenslust und Reiselust zu tun. "Das Verbindende aber ist", so Ruth Beckermann, "dass es immer diese Ambivalenz gibt, diesen Schmerz und Verlust, bei jedem und jeder. Meist hat das mit Landschaft zu tun, mit Licht und Sonne, mit Kindheit, mit allem, was dort fehlt, wo man gerade ist. Aber dann öffnen sich neue Räume, ,spiritual territories'." (Franz Niegelhell/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 11. 2004)