Wien - Auf Grund der geplante Streichung der Zuschüsse bei Sehbehelfen startet die Wiener Ärztekammer die Aktion "Sonderordinationszeiten". Dies kündigte Helga Azem von der Wiener Ärztekammer bei einer Pressekonferenz am Donnerstag an. Alle Wiener Augenärzte wurden angewiesen, den Patienten noch vor Jahresende Termine für eine Brillen- oder Kontaktlinsenanpassung zu geben. Die Aktion soll auch von den Ärzten in den Bundesländern übernommen werden.

Die Ordinationen seien jetzt schon übervoll, die Telefonanlagen nahe am Zusammenbrechen, beschrieb Azem die Situation. "Die Patienten fürchten die großen finanziellen Belastungen", begründete die Augenärztin diesen Ansturm auf die Ordinationen. Um diesen "faux pas" der Regierung - die geplante Streichung der Zuschüsse bei den Sehbehelfen - abzufangen, sollen alle Ärzte den Patienten noch heuer Termine geben. Noch bevor das neue Gesetz in Kraft tritt, wolle man damit den betroffenen Patienten die Möglichkeit geben, eine neue Brille oder Kontaktlinsen anpassen zu lassen und noch die Zuschüsse der Kassa zu bekommen. Ministerin Maria Rauch-Kallat (V) werde dann auch sehen, "wie viele Menschen sich der Bedeutung ihrer Augengesundheit bewusst sind und dieses Angebot annehmen."

Bittner sieht verfassungsrechtliche Bedenken

Eine Gefährdung der Gesundheit der Österreicher sehen die Wiener Ärztekammer und die Wiener Gebietskrankenkasse in der geplanten Kürzung der Zuschüsse für Sehbehelfe. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag merkte Franz Bittner, Obmann der Gebietskrankenkasse, verfassungsrechtliche Bedenken an. Helga Azem von der Wiener Ärztekammer betonte die präventive Wichtigkeit der routinemäßigen Augenuntersuchung, wenn ein Patient zur Brillenverschreibung in eine Ordination kommt. Die zuständige Ministerin Maria Rauch Kallat (V) solle das Ganze nochmal überdenken.

Bittner hat verfassungsrechtliche Bedenken, weil es dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche, eine Gruppe von Versicherten herauszunehmen. "Wo liegt der Unterschied zwischen Seh- und Hörbehinderte?", fragte er sich. Die einen würden Zuschüsse für ihre Hörgeräte bekommen, die anderen für ihre Brille nicht mehr. Es gehe nun um eine "eindeutige Leistungseinschränkung", nicht um Selbstbehalte. Bittner bekrittelte darüber hinaus, dass es zu einer "absoluten sozialen Schieflage komme". Man hätte die notwendige Einsparungssumme von 35 Mio Euro auch über eine Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage um 180 Euro statt nur 90 Euro erreichen können. So seien aber die Belastungen auf eine kleine Gruppe von Versicherten übertragen worden. Als Vertreter der Versicherten kündigte er Unterstützung der Versicherten an, die gegen diese Leistungseinschränkung klagen wollen, wenn das Gesetz nun so kommt.

Die Ärztekammer hat gegen das geplante Gesetz medizinische und soziale Bedenken. Die Wiener Augenärztin Helga Azem schilderte den Fall eines 64jährigen Patienten, der wegen einer neuen Brille zu ihr in die Ordination gekommen sei. Bei der begleitenden Routineuntersuchung habe sie eine Veränderung am Sehnerv bemerkt. Später stellte sich heraus, dass der Mann einen Gehirntumor hatte und noch rechtzeitig operiert werden konnte. Würde der Patient in Zukunft die Brillenverschreibung auf Grund der Streichung der Zuschüsse vor sich herschieben, dann wäre dieser Patient an dem Tumor erblindet, betonte Azem. Dieses "grasse Beispiel" zeige wie wesentlich diese Voruntersuchungen der Augenärzte sei.

"Wir goutieren, dass sich gerade Ministerin Rauch-Kallat so für die Voruntersuchungen einsetzt, wir verstehen aber überhaupt nicht, warum man einen so wichtigen Pfeiler der Gesundenuntersuchung torpediert", empörte sich Azem. Die möglichen Folgen seien von der Ministerin nicht genau bedacht worden. "Vielleicht kehrt aber nun doch noch Weitsichtigkeit ein", hofft die Ärztin. Besonders empörte sie sich darüber, dass man Schwerstsehbehinderten - neben Kindern und sozial Bedürftigen - weiterhin den Zuschuss gewähren wolle. Dies sei zynisch und genauso, wie wenn man schwerbettlägrigen Patienten einen Rollstuhl hinstelle und sage: "Den zahl ich Dir ja".

Jene Personen, die eine 500 Euro Designerbrille tragen und deshalb die Streichung der Zuschüsse verschmerzen könnten - wie Sozialstaatssekretärin Ursula Haubner (F) die Maßnahme verteidigte - stellen nicht die Mehrheit dar. Azem habe viele Patienten, die eine kleine Pension haben und nicht Rezeptgebühren befreit seien. Diese Patienten seien auf die Zuschüsse von 35 bis weit über 200 Euro angewiesen.

Rauch-Kallat weist Bittners Bedenken zurück

Gesundheitsministerin Maria Rauch Kallat (V) weist verfassungsrechtliche Bedenken bei der geplanten Streichung der Sehbehelf-Zuschüsse als "unbegründet" zurück. Die Ministerin meinte in einer Aussendung am Donnerstag, dass es sich bei Hörgeräten um eine Maßnahme der Rehabilitation handle, bei Brillen allerdings um Krankenbehandlung. Der Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse, Franz Bittner, sieht einen Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz, wenn Hör- und Sehbehinderte zukünftig ungleiche Leistungen von der Versicherung bekommen sollen.

Für die Ministerin stelle sich die Frage der "verfassungsrechtlichen Gleichheitswidrigkeit" nicht, da es sich bei Brillen und Hörgeräte um unterschiedliche Leistungstiteln handle: Mittels Hörgeräte würden die Patienten rehabilitiert, Brillen seien hingegen eine Maßnahme zur Krankenbehandlung, findet Rauch-Kallat.

(APA)